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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wenig zu erheben, aber das gelang ihm nicht; er hob sich eine Handbreit in die Höhe und sank dann wieder auf die Fußbank zurück.
    »Ich kann nicht, Täubchen«, antwortete er in klagendem Ton und sah Lisa irgendwie völlig gehorsam an.
    »Reden können Sie so viel, daß man ein ganzes Buch damit anfüllen könnte, aber sich zu rühren, dazu sind Sie nicht imstande!«
    »Lisa!« rief Tatjana Pawlowna. Makar Iwanowitsch machte wieder eine außerordentliche Anstrengung.
    »So nehmen Sie doch den Krückstock, er liegt ja neben Ihnen, und richten Sie sich mit dem Krückstock auf!« sagte Lisa noch einmal scharf.
    »Da hast du auch recht!« versetzte der Alte und griff sofort eilig nach dem Stock.
    »Wir müssen ihn einfach aufheben!« sagte Wersilow aufstehend; der Doktor setzte sich ebenfalls in Bewegung, auch Tatjana Pawlowna sprang auf, aber sie hatten noch nicht Zeit gehabt heranzutreten, als Makar Iwanowitsch, mit aller Kraft sich auf seinen Krückstock stützend, sich plötzlich erhob, mit frohem Triumphgefühl auf seinem Platz dastand und rings um sich blickte.
    »Da bin ich doch in die Höhe gekommen!« sagte er ordentlich stolz und lächelte fröhlich. »Ich danke dir auch, liebes Kind, du hast mich belehrt, und ich hatte schon gedacht, daß die lieben Beinchen mir gar nicht mehr gehorchten...«
    Aber er stand nicht lange so da; er hatte das kaum gesagt, als auf einmal der Stock, auf den er sich mit dem ganzen Gewicht seines Körpers stützte, auf dem Teppich ausrutschte und er, da »die lieben Beinchen« ihm fast gar keinen Halt gaben, der Länge nach polternd auf den Fußboden stürzte. Das war, wie ich mich erinnere, ein geradezu furchtbarerAnblick. Alle schrien auf und stürzten hin, um ihm aufzuhelfen, aber er hatte sich Gott sei Dank bei dem Fall nichts getan; er war nur schwer und geräuschvoll mit beiden Knien auf den Fußboden geschlagen, hatte aber noch Zeit gehabt, die rechte Hand vor sich hin zu halten und sich auf sie zu stemmen. Er wurde aufgehoben und auf das Bett gesetzt. Er war sehr blaß geworden, nicht vor Schreck, sondern von der Erschütterung. (Der Doktor hatte bei ihm neben allem andern auch eine Herzkrankheit gefunden.) Mama war ganz außer sich vor Schreck. Und auf einmal wandte sich Makar Iwanowitsch, obwohl er noch ganz blaß aussah, am ganzen Leibe zitterte und anscheinend noch nicht recht wieder zur Besinnung gekommen war, an Lisa und sagte mit beinahe zärtlich klingender, leiser Stimme zu ihr:
    »Nein, liebes Kind, die lieben Beinchen stehen wirklich nicht mehr!«
    Ich kann gar nicht sagen, was für einen Eindruck diese Worte damals auf mich machten. Die Sache war die, daß in den Worten des armen alten Mannes nicht der geringste Klang einer Klage oder eines Vorwurfs lag; vielmehr war ohne weiteres deutlich, daß er gleich von Anfang an in Lisas Worten absolut nichts Böses gefunden und ihr Anschreien für berechtigt gehalten hatte, das heißt daß sie ganz recht getan hatte, ihn für seine Verfehlung auszuschelten. Alles dies übte auf Lisa eine außerordentlich starke Wirkung aus. In dem Augenblick des Falls war sie wie alle übrigen aufgesprungen und hatte ganz leichenblaß und natürlich von tiefem Schmerz ergriffen dagestanden, da sie an allem schuld war, aber als sie diese Worte hörte, wurde sie plötzlich in demselben Augenblick über das ganze Gesicht dunkelrot vor Scham und Reue.
    »Nun ist's aber genug!« kommandierte Tatjana Pawlowna auf einmal. »Das kommt alles von diesem Gerede! Es ist Zeit, daß wir auseinandergehen; das führt zu nichts Gutem, wenn der Doktor selbst so ein Geschwätz veranstaltet.«
    »Sie haben ganz recht«, stimmte ihr Alexander Semjonowitsch bei, der mit dem Kranken beschäftigt war. »Ich habe einen Fehler begangen, Tatjana Pawlowna, er braucht Ruhe!«
    Aber Tatjana Pawlowna hörte nicht auf ihn: sie blickte etwa eine halbe Minute lang schweigend und unverwandt Lisa ins Gesicht.
    »Komm her, Lisa, und küsse mich alte Närrin, wenn du magst«, sagte sie dann zu meiner Überraschung.
    Und sie küßte sie, ich weiß nicht wofür, aber gerade das war es, was man jetzt tun mußte; beinahe wäre ich selbst auf Tatjana Pawlowna zugestürzt, um sie zu küssen. Denn jetzt mußte man Lisa nicht durch Vorwürfe ganz zu Boden drücken, sondern das neue, schöne Gefühl, das sich jetzt zweifellos in ihr regte, mit freudiger Anerkennung begrüßen. Aber statt auch meinerseits solche Empfindungen zu äußern, stand ich plötzlich auf und begann mit fester

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