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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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gutes Essen und Trinken und sitzt auf einem Haufen Gold, aber in seinem Herzen steckt doch immer dieselbe Unruhe. Manch einer hat alle Wissenschaften durchstudiert, aber aus der Unruhe kommt er doch nicht heraus. Und ich denke mir, je mehr der Verstand zunimmt, um so mehr nimmt auch das Mißbehagen zu. Und wenn man noch bedenkt: sie lehren nun schon, solange die Welt steht, aber was haben sie denn Gutes gelehrt, wodurch die Welt ein recht schöner, heiterer, freudenreicher Wohnsitz würde? Und ich will noch eins sagen: sie haben keine edle Schönheit und wollen sie auch nicht haben; alle sind sie ins Verderben geraten, aber ein jeder lobt die Art des Verderbens, und sich der einigen Wahrheit zuzuwenden, daran denkt er nicht; das Leben ohne Gott aber ist nur eine einzige Qual. Und so kommt es darauf hinaus, daß wir eben das verfluchen, wodurch wir erleuchtet werden, und das selbst nicht wissen. Und was liegt auch für ein Sinn darin: der Mensch kann überhaupt nicht existieren, ohne sich vor etwas zu beugen; ein solcher Mensch erträgt sich selbst nicht, kein Mensch kann das. Und wenn der Mensch Gott absetzt, so beugt er sich vor einem Götzen – einem hölzernen oder einem goldenen oder einem bloß gedachten. Götzendiener sind das alles, nicht Gottlose, so muß man sie nennen. – Na, aber wie sollte es keine Gottlosen geben? Es gibt Menschen, die wirklich gottlos sind, aber die sind viel furchtbarer als jene, weil sie mit dem Namen Gottes auf den Lippen einhergehen. Ich habe wiederholt von ihnen gehört, aber zusammengetroffen bin ich mit ihnen überhaupt noch nicht. Es gibt aber solche, mein Freund, und ich meine, es ist sogar notwendig, daß es welche gibt.«
    »Es gibt solche, Makar Iwanowitsch«, bekräftigte Wersilow dies plötzlich, »und es ist notwendig, daß es welche gibt.«
    »Sicherlich gibt es welche, und es ist notwendig, daß es welche gibt!« rief ich unwillkürlich, unhemmbar und leidenschaftlich; ich weiß nicht, warum, aber Wersilows Ton bezauberte mich, und in dem Satz: »Es ist notwendig, daß eswelche gibt«, lag für mich ein Gedanke, der mich fesselte. Dieses Gespräch war mir ganz unerwartet gekommen. Aber in diesem Augenblick geschah etwas ebenfalls ganz Unerwartetes.

IV
     
    Es war ein außerordentlich heller Tag. Das Rouleau in Makar Iwanowitschs Zimmer war früher auf Anordnung des Doktors gewöhnlich den ganzen Tag über heruntergelassen gewesen; aber jetzt befand sich am Fenster nicht ein Rouleau, sondern ein Vorhang, so daß der obere Teil des Fensters nicht verdeckt war; dies war gemacht worden, weil es dem Alten bei dem früheren Rouleau unbehaglich gewesen war, da er die Sonne so gar nicht sah. Und da hatten wir nun gerade bis zu dem Augenblick dagesessen, wo auf einmal die Sonnenstrahlen dem alten Makar Iwanowitsch gerade ins Gesicht schienen. Im Eifer des Gesprächs hatte er das anfänglich nicht beachtet, sondern mechanisch, während er redete, mehrmals den Kopf seitwärts gebeugt, weil das grelle Licht seine kranken Augen sehr belästigte und reizte. Mama, die neben ihm stand, hatte schon einige Male unruhig nach dem Fenster geblickt; das Richtige wäre gewesen, das Fenster einfach mit irgend etwas vollständig zu verhängen, aber um das Gespräch nicht zu unterbrechen, kam sie auf den Gedanken, zu versuchen, ob sie nicht die Fußbank, auf der Makar Iwanowitsch saß, nach rechts zur Seite rücken könnte: es war nur nötig, sie um drei oder höchstens vier Werschok zu bewegen. Mama hatte sich schon mehrmals niedergebeugt und die Fußbank angefaßt, sie aber nicht wegziehen können; die Fußbank mit dem darauf sitzenden Makar Iwanowitsch hatte sich nicht gerührt.
    Makar Iwanowitsch, der ihre Anstrengungen im Eifer des Gesprächs nur ganz unbewußt fühlte, hatte mehrmals versucht, sich ein wenig zu erheben, aber die Beine hatten ihm den Dienst versagt. Mama fuhr jedoch trotzdem fort, sich anzustrengen und zu ziehen, und all das machte Lisa schließlich furchtbar zornig. Es waren mir schon ein paar funkelnde, erregte Blicke von ihr aufgefallen, aber ich hatte im ersten Augenblick nicht gewußt, worauf ich sie zurückführensollte, und überdies nahm mich das Gespräch vollständig in Anspruch. Da hörten wir auf einmal, wie sie mit scharfer Stimme den alten Makar Iwanowitsch beinahe anschrie:
    »So heben Sie sich doch wenigstens ein bißchen in die Höhe, Sie sehen doch, wie Mama sich abquält!«
    Der Alte sah sie schnell an, verstand sofort und versuchte eilig, sich ein

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