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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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nachher sehr zufrieden, als er sah, daß auch ich manchmal Verständnis dafür zeigte, wie man mit einem Mann von ganz anderen Begriffen und Anschauungen verkehren muß, kurz, daß auch ich es verstand, nötigenfalls nachgiebig und großzügig zu sein. Ich gestehe auch (und ich glaube mich dadurch nicht herabzuwürdigen), daß ich bei diesem Mann aus dem Volk in bezug auf manche Gefühle und Anschauungen etwas mir ganz Neues und Unbekanntes gefunden habe, etwas, was viel klarer und tröstlicher war als meine eigenen früheren Vorstellungen von diesen Dingen. Nichtsdestoweniger war es manchmal geradezu, um aus der Haut zu fahren, wenn man gewisse schwerwiegende Vorurteile mit anhörte, an denen er mit der empörendsten Ruhe und Unerschütterlichkeit festhielt. Aber daran war gewiß nur sein Mangel an Bildung schuld, denn seine Seele war recht gut organisiert, sogar so, daß ich unter den Menschen noch nichts Besseres in dieser Art getroffen habe.

II
     
    Besonders anziehend war an ihm, wie ich schon oben bemerkt habe, seine außerordentliche Offenherzigkeit und das Fehlen jeder Spur von Eigenliebe; man ahnte, daß sein Herz beinahe sündenfrei war. Er besaß eine »Heiterkeit« des Herzens und daher »edle Schönheit«. Das Wort »Heiterkeit« liebte er sehr und gebrauchte es häufig. Allerdings überkam ihn manchmal eine Art krankhafter Verzückung, eine Art krankhafter Rührung, was ich zum Teil darauf zurückführe, daß ihn das Fieber, genaugenommen, diese ganze Zeit über nicht losließ; aber der »edlen Schönheit« tat das keinen Abbruch. Es gab bei ihm auch Kontraste: neben einer erstaunlichen Treuherzigkeit, die ihn die ironische Färbung von Entgegnungen manchmal gar nicht bemerken ließ (oft zu meinem Ärger), trat bei ihm auch eine Art von feiner Schlauheit zutage, am häufigsten bei polemischen Geplänkeln. Polemik aber liebte er sehr, obwohl er manchmal nur so auf seine besondere Art polemisierte. Man merkte, daß er viel in Rußland herumgekommen war und vielerlei gehört hatte, aber ich wiederhole es: am meisten liebte er die Rührung und daher auch alles, was zu ihr führte, wie er denn auch selbst gern rührende Geschichten erzählte. Überhaupt erzählte er sehr gern. Ich habe ihn vieles erzählen hören, sowohl von seinen eigenen Pilgerfahrten als auch allerlei Legenden aus dem Leben der frühesten »Glaubensstreiter«. Ich bin auf diesem Gebiet nicht bewandert, glaube aber, daß er bei diesen Legenden, die er größtenteils aus mündlichen Erzählungen einfacher Leute kannte, vieles aus eigener Phantasie umgemodelt hat. Manches konnte man einfach nicht ohne Widerspruch anhören. Aber trotz aller augenscheinlichen Umdichtungen oder auch direkten Aufschneidereien kam immer eine bewundernswert geschlossene Erzählung zutage, voll volkstümlichen Empfindens und immer von rührendem Charakter ... Ich habe zum Beispiel von diesen Erzählungen eine lange Legende von der Maria von Ägypten im Gedächtnis. Von dieser Legende wie fast von allen ähnlichen hatte ich bis dahin keine Ahnung gehabt. Ich sage geradeheraus: es war fast unmöglich, das ohne Tränen mit anzuhören, undzwar nicht so sehr aus Rührung, sondern aus einem eigenartigen Entzücken: man spürte etwas Ungewöhnliches und Glutvolles, vergleichbar jener von Löwen bevölkerten glühenden Sandwüste, in der die Heilige umherirrte. Indes will ich davon nicht weiter reden; ich bin da auch kein kompetenter Beurteiler.
    Außer der Rührung gefielen mir an ihm auch gewisse manchmal sehr originelle Ansichten über einige sehr strittige Fragen aus dem Leben der Gegenwart. So zum Beispiel erzählte er einmal eine unlängst passierte Geschichte von einem entlassenen Soldaten; er selbst wäre beinahe Zeuge dieses Vorfalls gewesen. Ein Soldat kehrte nach Beendigung seiner Dienstzeit wieder in seine Heimat zu den Bauern zurück, aber es gefiel ihm nun nicht mehr, mit den Bauern zusammenzuleben, und auch er selbst gefiel den Bauern nicht. Der Mensch geriet auf Abwege, wurde Trinker und machte sich eines Raubes schuldig; beweiskräftige Indizien waren allerdings nicht vorhanden, aber er wurde doch verhaftet und vor Gericht gestellt. Bei der Gerichtsverhandlung hatte sein Verteidiger seine Unschuld schon so gut wie bewiesen (es waren eben keine Indizien da), als plötzlich der Angeklagte, der bis dahin immer nur stumm zugehört hatte, aufstand, den Verteidiger mit den Worten: »Nein, rede nur nicht weiter!« unterbrach und nun alles bis auf die geringste

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