Der Jüngling
Einzelheit erzählte; er bekannte sich unter Tränen und voll Reue in ganzem Umfang schuldig. Die Geschworenen gingen hinaus und schlossen sich ein, um das Urteil zu finden; dann kamen sie alle wieder herein und verkündeten: »Nein, nicht schuldig.« Alle Zuhörer schrien auf und freuten sich; der Soldat aber blieb, ohne sich zu rühren, an seinem Platz stehen, als wäre er in einen Pfahl verwandelt, und verstand nichts; er verstand auch nichts von dem, was der Vorsitzende ihm bei der Freilassung zur Ermahnung sagte. So ging er nun wieder in die Freiheit hinaus und wollte es immer noch nicht glauben. Er wurde schwermütig, überließ sich seinen Gedanken, aß nicht und trank nicht, redete nicht mit anderen Menschen, und nach fünf Tagen erhängte er sich, ohne ein Wort zu sagen. »So geht es, wenn man mit einer Sünde auf dem Gewissen leben soll!« schloß Makar Iwanowitsch.Diese Geschichte war natürlich wertlos, und man findet jetzt eine Unmenge dieser Art in den Zeitungen; aber mir gefiel dabei der Ton des Erzählers und ganz besonders einige Ausdrücke, die einen ganz neuen Gedanken enthielten. Als er zum Beispiel davon sprach, daß der Soldat nach der Heimkehr in sein Dorf den Bauern nicht gefallen hatte, drückte sich Makar Iwanowitsch so aus: »Man weiß doch, was ein Soldat ist: ein Soldat ist ein verpfuschter Bauer .« Und als er dann von dem Advokaten sprach, der den Angeklagten beinahe losbekommen hätte, da sagte er ebenfalls: »Man weiß doch, was ein Advokat ist: ein Advokat ist ein gemietetes Gewissen .« Diese beiden Ausdrücke brachte er heraus, ohne auf sie besondere Mühe verwandt zu haben und ohne sie überhaupt zu beachten, und dabei steckt doch in diesen beiden Ausdrücken eine vollständige, besondere Anschauung der beiden Gegenstände, und wenn diese Anschauung auch nicht die des ganzen einfachen Volkes ist, so ist sie doch Makar Iwanowitschs eigene, die er nirgendwo entlehnt hat! Diese Urteile des Volkes über manche Themen sind mitunter wirklich wundervoll in ihrer Originalität.
»Wie denken Sie aber über die Sünde des Selbstmordes, Makar Iwanowitsch?« fragte ich ihn bei demselben Anlaß.
»Der Selbstmord ist die größte menschliche Sünde«, antwortete er mit einem Seufzer, »aber Richter darüber ist allein Gott der Herr, denn nur ihm allein ist alles bekannt, jede Grenze und jedes Maß. Wir aber müssen jedenfalls für einen solchen Sünder beten. Jedesmal, wenn du von einer solchen Sünde hörst, bete vor dem Schlafengehen inbrünstig für diesen Sünder, und wenn du auch nur einen Seufzer für ihn zu Gott emporsendest, ja sogar, wenn du ihn gar nicht gekannt hast – um so wirksamer wird dein Gebet für ihn sein.«
»Aber wird ihm mein Gebet helfen, wenn er schon gerichtet ist?«
»Aber warum bezweifelst du das? Viele, ach, viele glauben nicht und veranlassen unwissende Menschen dazu, Fürbitten zu unterlassen; aber höre du nicht auf sie, denn sie wissen selbst nicht, was sie für Torheit reden. Das Gebeteines noch Lebenden für einen Gerichteten ist wahrlich wirksam. Was meinst du, wie es um den steht, für den überhaupt niemand betet? Darum füge, wenn du vor dem Schlafengehen betest, am Schluß hinzu: »Erbarme dich, Herr Jesus, auch all derer, für die niemand betet!« Dieses Gebet ist gar wirksam und vor Gott angenehm. Und ebenso in bezug auf alle Sünder, die noch leben: »O Herr, wäge du selbst ihnen ihr Schicksal zu und errette alle Unbußfertigen!« – das ist auch ein gutes Gebet.«
Ich versprach ihm, so zu beten, da ich merkte, daß ich ihm durch dieses Versprechen ein außerordentliches Vergnügen machte. Und wirklich strahlte eine helle Freude auf seinem Gesicht auf, aber ich beeile mich hinzuzufügen, daß er mich in solchen Fällen niemals von oben herab behandelte, nicht in der Art, wie wohl ein alter Mann einen unreifen jungen Mann behandelt; vielmehr hörte er sehr häufig, wenn ich über allerlei Gegenstände sprach, auch mir gern zu, sogar mit sehr lebhaftem Interesse, denn er sagte sich zwar, daß er es nur mit einem »Jüngling«, wie er sich im gehobenen Stil ausdrückte, zu tun habe, hatte aber gleichzeitig Verständnis dafür, daß dieser »Jüngling« an Bildung hoch über ihm stand. Er sprach zum Beispiel sehr oft und sehr gern vom Einsiedlerleben und stellte es unvergleichlich höher als das Pilgerleben. Ich widersprach ihm lebhaft, indem ich mit allem Nachdruck auf den Egoismus der Einsiedler hinwies, die der Welt Ade sagen, ohne sich darum zu
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