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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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kümmern, welchen Nutzen sie der Menschheit hätten bringen können, und sich lediglich durch den egoistischen Gedanken, sich selbst zu retten, leiten lassen. Er verstand mich anfänglich nicht, und ich vermute sogar, daß er mich überhaupt nicht verstanden hat; aber er verteidigte das Einsiedlerleben eifrig: »Zu Anfang fühlt man sich allerdings nicht glücklich« (nämlich wenn man Einsiedler wird), »na, aber dann freut man sich von Tag zu Tag mehr, und dann schaut man auch bald Gott.« Darauf entwarf ich ihm ein ausführliches Bild der nützlichen Tätigkeit eines Gelehrten, eines Arztes oder überhaupt eines Menschenfreundes in der Welt und versetzte ihn dadurch in ein wahres Entzücken, weil auch ich mit Wärme sprach; er stimmte mir in einem fort zu: »So ist es, mein Lieber, so ist es; Gottsegne dich, da denkst du ganz richtig«; aber als ich geendet hatte, war er doch mit mir nicht ganz einverstanden, und sagte mit einem tiefen Seufzer: »So ist es, so ist es, aber wie wenige gibt es, die standhalten und sich nicht verlocken lassen! Das Geld ist zwar kein Gott, aber doch ein halber Gott – eine große Versuchung; und dann ist da noch das weibliche Geschlecht und der Zweifel und der Neid. Da vergessen dann die Menschen das Große und geben sich mit dem Kleinen ab. Anders in der Einsiedelei: da wird der Mensch stark zu jeder guten Tat. Und was gibt es denn in der Welt, mein Freund?« rief er mit tiefer Empfindung, »Ist nicht das Leben dort nur ein Spiel der Hoffnungen? Nimm eine Handvoll Sand und säe sie auf einen Stein; wenn dein gelber Sand auf dem Stein aufgeht, dann wird auch dein Spiel der Hoffnungen in der Welt Wirklichkeit werden – so redet man bei uns. Und so sagt auch Christus: »Geh hin und verteile deinen Reichtum und werde ein Knecht aller!« Und dadurch wirst du unermeßlich viel reicher werden, als du vorher warst; denn nicht durch Speise allein, nicht durch prächtige Kleider, nicht durch Stolz und Neid wirst du glücklich sein, sondern durch die unermeßlich vermehrte Liebe. Nicht kleinlichen Reichtum erwirbst du dir, nicht hunderttausend Rubel, nicht eine Million, sondern die ganze Welt! Heutzutage sammeln wir unersättlich und verschwenden sinnlos, aber dann wird es keine Waisen und keine Bettler mehr geben, denn alle sind sie mein, alle mir verwandt, alle habe ich sie erworben, alle bis auf den letzten mir erkauft! Heutzutage ist es keine Seltenheit, daß auch der Reichste und Vornehmste gegen die Zahl seiner Tage gleichgültig ist und selbst nicht mehr weiß, was für Vergnügen er sich ersinnen soll; dann aber werden sich deine Tage und Stunden vertausendfachen, da du auch nicht eine einzige kleine Minute wirst verlieren wollen, sondern eine jede in Heiterkeit des Herzens auskosten wirst. Dann wirst du auch die Weisheit nicht nur aus Büchern erwerben, sondern wirst Gott selbst von Angesicht zu Angesicht schauen, und die Erde wird heller strahlen als die Sonne, und es wird keine Trauer sein und kein Seufzen, sondern nur ein einziges, herrliches Paradies ...«
    Gerade diese Ausbrüche der Begeisterung waren es, glaube ich, die Wersilow ganz besonders liebte. Dieses Mal befand er sich selbst mit im Zimmer.
    »Makar Iwanowitsch!« unterbrach ich ihn plötzlich, ich war selbst maßlos begeistert (ich habe jenen Abend genau in der Erinnerung), »aber wenn Sie so reden, dann predigen Sie ja den Kommunismus, den entschiedenen Kommunismus!«
    Und da er noch nicht das geringste von der kommunistischen Lehre wußte, ja sogar dieses Wort zum erstenmal in seinem Leben hörte, so machte ich mich sogleich daran, ihm alles, was ich über dieses Thema wußte, auseinanderzusetzen. Ich muß gestehen, meine Kenntnisse waren nur gering und unklar, und ich bin auch heute darin nicht sehr beschlagen, aber was ich wußte, das trug ich trotz alledem mit dem größten Eifer vor. Noch heute erinnere ich mich mit Vergnügen an den gewaltigen Eindruck, den ich damit bei dem alten Mann hervorrief. Eigentlich war es nicht so sehr ein Eindruck als vielmehr beinahe eine Erschütterung. Dabei interessierte er sich lebhaft für die historischen Einzelheiten: »Wo? Wie? Wer hat dieses System aufgestellt? Wer hat das gesagt?« Beiläufig gesagt, ich habe die Beobachtung gemacht, daß dies überhaupt eine Eigenheit des einfachen Mannes aus dem Volk ist: er begnügt sich nicht mit der allgemeinen Idee, wenn er sich interessiert, sondern verlangt unbedingt ganz bestimmte, genaue Einzelheiten. Ich aber wußte mit den

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