Der Jüngling
Ähnlichkeit der Photographie, sozusagen ihre geistige Ähnlichkeit – kurz, sie wirkte wie ein richtiges Porträt von der Hand eines Künstlers und nicht wie eine mechanische Reproduktion. Als ich eingetreten war, blieb ich sofort unwillkürlich vor ihr stehen.
»Nicht wahr, nicht wahr?« sagte auf einmal Wersilow hinter mir.
Das bedeutete: »Nicht wahr, es ist sehr ähnlich?« Ichwandte mich um und sah ihn an und war überrascht von dem Ausdruck seines Gesichts. Er war ein wenig blaß, aber seine Augen glühten, und sein energischer Blick leuchtete von Glückseligkeit und Kraftgefühl: einen solchen Ausdruck hatte ich noch nie an ihm wahrgenommen.
»Ich habe gar nicht gewußt, daß Sie Mama so lieben!« entfuhr es mir plötzlich; ich war selbst ganz entzückt.
Er lächelte glückselig, obgleich in seinem Lächeln auch etwas Leidvolles oder, richtiger gesagt, etwas Humanes, Erhabenes lag ... ich verstehe das nicht auszudrücken; aber die Gesichter hochgebildeter Leute können meiner Ansicht nach nicht den Ausdruck einer triumphierenden, siegesbewußten Glückseligkeit tragen. Ohne mir zu antworten, nahm er das Bild mit beiden Händen von den Nägeln, führte es an sein Gesicht, küßte es und hängte es dann wieder still an die Wand.
»Achte einmal darauf«, sagte er, »photographische Aufnahmen fallen nur sehr selten ähnlich aus, und das ist begreiflich: das Original selbst, das heißt ein jeder von uns, ist sich nur sehr selten selbst ähnlich. Das menschliche Gesicht bringt nur in seltenen Augenblicken seinen wichtigsten Zug, seinen charakteristischsten Gedanken zum Ausdruck. Der Künstler studiert das Gesicht und errät diesen wichtigsten Zug, auch wenn er in dem Augenblick, wo er malt, auf dem Gesicht gar nicht vorhanden ist. Die Photographie aber erfaßt den Menschen so, wie er gerade ist, und es ist sehr möglich, daß Napoleon in manchen Augenblicken dumm und Bismarck mild herauskäme. Hier aber, bei diesem Porträt, hat es sich glücklich getroffen, daß die Sonne Sonja gerade in dem Moment erfaßt hat, wo sich deren wichtigster Charakterzug, schamhafte, sanfte Liebe und scheue, schüchterne Keuschheit, auf ihrem Gesicht ausprägte. Und wie glücklich war sie damals auch, als sie sich endlich davon überzeugt hatte, daß es mich wirklich heiß verlangte, ihr Porträt zu besitzen! Diese Aufnahme ist zwar vor nicht allzu langer Zeit gemacht worden, aber doch war deine Mutter damals noch jünger und schöner; freilich hatte sie auch damals bereits diese eingefallenen Wangen, diese kleinen Runzeln auf der Stirn, diese scheue Ängstlichkeit des Blicks, die bei ihr jetzt mit den Jahren wächst,je länger, je mehr. Wirst du es glauben, mein Lieber, ich kann sie mir jetzt kaum mit einem andern Gesicht vorstellen, und doch ist auch sie einmal jung und reizend gewesen! Die russischen Frauen werden schnell häßlich, ihre Schönheit ist nur von kurzer Dauer, und das ist wirklich nicht nur eine ethnographische Besonderheit des Typs, sondern es kommt auch daher, daß sie voll und ganz zu lieben verstehen. Wenn die russische Frau liebt, so gibt sie alles mit einemmal hin, den Augenblick und ihr Schicksal, die Gegenwart und die Zukunft: ökonomisch zu verfahren, das verstehen sie nicht, eine Reserve legen sie nicht zurück, und ihre Schönheit geht bald für denjenigen dahin, den sie lieben. Diese eingefallenen Wangen, das ist auch Schönheit, die für mich, für meinen kurzen Genuß, dahingegangen ist. Du freust dich, daß ich deine Mama geliebt habe, und hast vielleicht nicht einmal geglaubt, daß das der Fall gewesen ist? Ja, mein Freund, ich habe sie sehr geliebt; aber ich habe ihr nichts als Böses angetan ... Sieh mal, da ist noch ein anderes Porträt; sieh dir auch das an!«
Er nahm es vom Tisch und reichte es mir hin. Es war ebenfalls eine Photographie, aber in sehr viel kleinerem Format, in einem schmalen, ovalen Holzrahmen, ein Mädchengesicht, mager und schwindsüchtig und dabei doch schön, nachdenklich und gleichzeitig in seltsamer Weise gedankenleer. Die regelmäßigen Züge eines viele Generationen hindurch sorgsam erzogenen alten Geschlechts machten dennoch den Eindruck der Krankhaftigkeit: es kam dem Beschauer vor, als habe sich dieses Wesens plötzlich ein starrer Gedanke bemächtigt, der ihm eben dadurch zur Qual wurde, weil er über seine Kraft ging.
»Das ... das ist jenes Mädchen, das Sie dort heiraten wollten und das an der Schwindsucht starb ... ihre Stieftochter?« fragte ich etwas
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