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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Sinne, in dem er es wünscht und in dem Sie danach fragen.«
    »Fürchten Sie jetzt für ihn oder für sich selbst?« fragte ich plötzlich.
    »Ach, das sind sonderbare Fragen, lassen wir das!«
    »Gewiß, lassen wir das; aber ich habe davon nichts gewußt, und vielleicht noch sehr vieles andere nicht; indes mögen Sie recht haben: alles wird jetzt anders werden, und wenn jemand ein neues Leben beginnt, so in erster Linie ich. Ich habe Ihnen gegenüber unwürdige Gedanken gehabt, Katerina Nikolajewna, und es ist vielleicht erst eine Stunde her, daß ich gegen Sie auch in meinem Handeln eine Gemeinheit begangen habe, aber wissen Sie, ich sitze hier neben Ihnen und fühle keinerlei Gewissensbisse. Denn alles ist jetzt verschwunden, und alles ist neu geworden, und den Menschen, der vor einer Stunde eine Gemeinheit gegen Sie vorhatte, den kenne ich nicht und will ich nicht kennen!«
    »Kommen Sie zu sich!« sagte sie lächelnd. »Sie reden, als fieberten Sie ein bißchen.«
    »Und kann etwa jemand, der neben Ihnen sitzt, sich selbst richten?« fuhr ich fort. »Mag er ehrenhaft, mag er gemein sein, Sie sind immer unerreichbar wie die Sonne ... Sagen Sie, wie konnten Sie nach allem, was geschehen ist,es fertigbringen, zu mir herauszukommen? Und wenn Sie wüßten, was vor einer Stunde, erst vor einer Stunde geschehen ist! Und was für ein Traum in Erfüllung gegangen ist!«
    »Ich weiß wahrscheinlich alles«, erwiderte sie mit einem ruhigen Lächeln. »Sie wollten sich soeben an mir für irgend etwas rächen, schwuren, mich zugrunde zu richten, und hätten trotzdem einen jeden totgeschlagen oder durchgeprügelt, der sich erdreistet hätte, über mich in Ihrer Gegenwart auch nur ein häßliches Wort zu sagen.«
    Oh, sie lächelte und scherzte, aber das tat sie nur aus grenzenloser Herzensgüte, denn ihre ganze Seele war in diesem Augenblick, wie mir nachher klar wurde, dermaßen von eigener gewaltiger Sorge und starker, machtvoller Empfindung erfüllt, daß sie nur in der Weise mit mir reden und auf meine unnützen, aufgeregten Fragen antworten konnte, wie man einem kleinen Kind auf eine kindliche, zudringliche Frage antwortet, um sich von ihm loszumachen. Ich merkte das auf einmal und wurde verlegen, aber ich konnte nicht mehr aufhören.
    »Nein«, rief ich, meiner selbst nicht mächtig, »nein, ich habe den, der von Ihnen häßlich redete, nicht totgeschlagen, sondern ihm vielmehr selbst noch dabei geholfen!«
    »Oh, um Gottes willen, lassen Sie das, lassen Sie das, erzählen Sie nichts!« rief sie und streckte die Hand aus, um mir Einhalt zu tun, wobei ihr Gesicht sogar einen schmerzlichen Ausdruck zeigte, aber ich war bereits aufgesprungen und vor sie hingetreten, um alles auszusprechen, und wenn ich alles ausgesprochen hätte, dann hätte sich das nicht ereignet, was sich nachher zugetragen hat, denn sicherlich hätte es damit geendet, daß ich ihr alles bekannt und ihr das Schriftstück zurückgegeben hätte. Aber sie fing auf einmal an zu lachen:
    »Lassen Sie das, lassen Sie das, gehen Sie nicht auf Einzelheiten ein! Ich kenne alle Ihre Verbrechen schon allein: ich möchte wetten, Sie wollten mich heiraten oder so etwas und haben sich soeben mit einem Ihrer Helfershelfer, mit einem Ihrer früheren Schulfreunde verabredet ... Ach, es scheint wirklich, daß ich es erraten habe!« rief sie und blickte mir ernsthaft ins Gesicht.
    »Wie ... wie haben Sie das erraten können?« stammelte ich wie ein Dummkopf in höchstem Erstaunen.
    »Nun, das war kein Kunststück! Aber genug davon, genug davon! Ich verzeihe Ihnen, aber hören Sie auf, davon zu reden!« sagte sie, wieder mit einer abwehrenden Handbewegung und jetzt mit sichtlicher Ungeduld. »Ich bin selbst eine Träumerin, und wenn Sie wüßten, zu was für Mitteln ich bei meinen Träumereien in Augenblicken greife, wo ich mich nicht selbst beherrsche! Genug davon, Sie haben mich ganz von dem abgebracht, was ich sagen wollte. Ich freue mich sehr, daß Tatjana Pawlowna weggegangen ist; ich habe sehr gewünscht, mit Ihnen zu reden, und das wäre in ihrer Gegenwart doch nicht in der Weise möglich gewesen wie jetzt. Ich glaube, ich habe mir bei dem, was neulich geschehen ist, Ihnen gegenüber etwas zuschulden kommen lassen. Ja? Ist es so?«
    »Sie hätten sich etwas zuschulden kommen lassen? Aber ich hatte Sie damals an ihn verraten, und was mußten Sie von mir denken? Ich habe daran diese ganze Zeit über gedacht, alle Tage, seit damals; jeden Augenblick habe ich daran

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