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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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gedacht und es schmerzlich empfunden.« (Ich log ihr nichts vor.)
    »Sie haben sich unnötig gepeinigt; ich verstand gleich damals ganz genau, wie das alles gekommen war; Sie hatten ihm eben damals in der Freude Ihres Herzens ein Wörtchen zuviel gesagt: daß Sie in mich verliebt seien und daß ich ... nun, und daß ich Sie erhört hätte. Dafür sind Sie eben zwanzig Jahre alt. Sie lieben ihn ja doch mehr als sonst etwas in der Welt und glauben, in ihm einen Freund und Ihr Ideal gefunden zu haben. Ich verstand das recht wohl, aber es war schon zu spät; ja, ich selbst habe mich damals vergangen: ich hätte Sie damals gleich rufen lassen sollen, um Sie zu beruhigen, aber ich war ärgerlich und bat meinen Vater, anzuordnen, daß Sie in unserm Haus nicht mehr empfangen werden sollten; und so kam es denn zu jener Szene an der Haustür, und dann zu jener Nacht. Und wissen Sie, ich habe diese ganze Zeit über wie Sie darüber phantasiert, daß ich heimlich mit Ihnen zusammenkommen wollte; ich wußte nur nicht, wie ich das einrichten könnte. Und was meinen Sie, wovor ich mich am meisten gefürchtethabe? Daß Sie seinen Verleumdungen über mich Glauben schenken könnten.«
    »Niemals!« rief ich.
    »Unsere früheren Begegnungen sind mir sehr wertvoll; ich schätze in Ihnen den Jüngling und vielleicht sogar gerade diese Offenherzigkeit ... Ich habe ja einen sehr ernsten Charakter. Ich bin die ernsteste, düsterste Frau, die es heute gibt, das kann ich Ihnen sagen ... hahaha! Wir werden schon noch ein andermal ausführlich darüber reden, aber jetzt fühle ich mich nicht ganz wohl, ich bin aufgeregt, und ... wie es scheint, habe ich einen hysterischen Anfall. Aber endlich, endlich wird er auch mich auf der Welt in Ruhe leben lassen!«
    Dieser Ausruf brach unwillkürlich aus ihrer Brust hervor; ich empfand das sofort und wollte nicht darauf eingehen, aber ich zitterte am ganzen Leibe.
    »Er weiß, daß ich ihm verziehen habe!« rief sie plötzlich wieder, als wäre sie allein im Zimmer.
    »Haben Sie ihm wirklich diesen Brief verzeihen können? Und wie sollte er es erfahren haben, daß Sie ihm verziehen haben?« rief ich, nicht imstande, mich zurückzuhalten.
    »Wie er es erfahren hat? Oh, er weiß es«, fuhr sie fort, mir zu antworten, aber mit einer Miene, als hätte sie mich ganz vergessen und spräche nur mit sich selbst. »Er ist jetzt zur Besinnung gekommen. Und wie sollte er auch nicht wissen, daß ich ihm verziehen habe, wenn er doch meine ganze Seele auswendig kennt? Er weiß ja, daß ich selbst ein bißchen von seiner Art bin.«
    »Sie?«
    »Nun ja, das ist ihm bekannt. Oh, ich bin nicht leidenschaftlich, ich bin eine ruhige Natur; aber ebenso wie er würde ich wünschen, daß alle Menschen gut wären ... Ich muß doch etwas an mir haben, weswegen er mich liebgewonnen hat.«
    »Wie hat er dann nur sagen können, daß in Ihnen alle möglichen Laster steckten?«
    »Das hat er nur gesagt; im stillen hat er eine andere Meinung. Aber nicht wahr, der Brief, den er geschrieben hat, war doch furchtbar komisch?«
    »Komisch?« (Ich hörte ihr mit angestrengter Aufmerksamkeitzu; ich glaube, daß sie tatsächlich eine Art von hysterischem Anfall hatte und ... da Dinge aussprach, die vielleicht gar nicht für meine Ohren bestimmt waren; aber ich konnte mich nicht so weit beherrschen, daß ich nicht gefragt hätte.)
    »O ja, komisch, und wie hätte ich darüber gelacht, wenn ... wenn ich mich nicht gefürchtet hätte. Übrigens bin ich kein solcher Angsthase, glauben Sie das nicht; aber dieser Brief hat mir in jener Nacht den Schlaf geraubt, er ist sozusagen nicht mit Tinte, sondern mit krankem Blut geschrieben ... und was bleibt einem nach einem solchen Brief noch übrig? Ich liebe das Leben, ich bin um mein Leben schrecklich besorgt; in dieser Hinsicht bin ich sehr kleinmütig ... Ach, hören Sie!« rief sie plötzlich, »gehen Sie zu ihm! Er wird jetzt allein sein; er kann nicht immerzu dort sein und ist wahrscheinlich allein irgendwohin gegangen: machen Sie ihn recht schnell ausfindig, nur ja recht schnell, eilen Sie zu ihm, zeigen Sie ihm, daß Sie sein liebender Sohn sind, beweisen Sie, daß Sie ein lieber, guter Junge sind, daß Sie mein Student sind, den ich ... Oh, Gott möge Sie glücklich werden lassen! Ich liebe niemand, und das ist auch das beste, aber ich wünsche allen Menschen, daß sie glücklich seien, allen, und zu allererst ihm, und das soll er wissen ... sogar sofort, das wäre mir sehr angenehm ...«
    Sie

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