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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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stand auf und verschwand plötzlich hinter der Portiere; auf ihrem Gesicht glänzten in diesem Augenblick Tränen (hysterische Tränen, vom Lachen). Erregt und verwirrt blieb ich allein im Zimmer. Ich wußte tatsächlich nicht, worauf ich diese ihre Aufregung zurückführen sollte, eine Aufregung, wie ich sie nie bei ihr für möglich gehalten hätte. Mein Herz zog sich schmerzlich zusammen.
    Ich wartete fünf Minuten, es wurden zehn Minuten: auf einmal fiel mir die tiefe Stille auf, und ich beschloß, aus der Tür hinauszusehen und zu rufen. Auf meinen Ruf erschien Marja und teilte mir im ruhigsten Ton von der Welt mit, die gnädige Frau habe sich schon längst angekleidet und sei durch den hinteren Ausgang weggegangen.

Siebentes Kapitel
    I
    Ein überraschender Schluß! Ich ergriff meinen Pelz, warf ihn mir im Gehen um und lief mit dem Gedanken hinaus: ›Sie hat mir befohlen, zu ihm zu gehen, aber wo kann ich ihn finden?‹ Aber neben allem andern beunruhigte mich die Frage: ›Weshalb glaubt sie, daß jetzt eine neue Situation entstanden sei und daß er ihr Ruhe gönnen werde? Natürlich – weil er Mama heiraten wird, aber wie empfindet sie das? Freut sie sich darüber, daß er Mama heiraten wird, oder ist sie im Gegenteil darüber unglücklich? War das der Grund ihres hysterischen Anfalls? Warum kann ich darüber keine Klarheit gewinnen?‹
    Ich setze diesen zweiten Gedanken, der mir damals durch den Kopf ging, in seinem Wortlaut hierher, damit man bei den folgenden Ereignissen an ihn denke: er ist wichtig. Dieser Abend war verhängnisvoll. Und siehe da, unwillkürlich möchte man an eine Vorherbestimmung glauben: ich war noch nicht hundert Schritte in der Richtung nach Mamas Wohnung gegangen, als ich auf einmal mit dem zusammentraf, den ich suchte. Er faßte mich bei der Schulter und hielt mich an.
    »Du bist es!« rief er erfreut und zugleich anscheinend höchst erstaunt. »Denke dir, ich war bei dir«, begann er eilig, »ich suchte dich und fragte nach dir; ich bedarf deiner jetzt, einzig und allein deiner in der ganzen Welt! Dein Beamter schwatzte Gott weiß was zusammen; aber du warst nicht da, und beim Weggehen vergaß ich sogar, ihm aufzutragen, daß er dir bestellen möchte, du solltest unverzüglich zu mir kommen. Und sollte man es glauben: ich war dennoch beim Gehen unerschütterlich davon überzeugt, daß das Schicksal dich jetzt, wo ich deiner so dringend bedarf, mir in den Weg führen würde, und siehe da, der erste Mensch, der mir begegnet, bist du! Komm zu mir. Du bist noch nie bei mir gewesen.«
    Kurz, wir hatten einer den andern gesucht, und jedem von uns war etwas Ähnliches widerfahren. Wir gingen sehr eilig weiter.
    Unterwegs machte er mir nur ein paar kurze Mitteilungen darüber, daß er Mama in Tatjana Pawlownas Obhut gelassen habe und so weiter. Er hatte mich an der Hand gefaßt und führte mich so. Er wohnte nicht weit von dieser Gegend, und wir gelangten bald hin. Ich war in der Tat noch nie bei ihm gewesen. Es war eine kleine, aus drei Zimmern bestehende Wohnung, die er (oder richtiger Tatjana Pawlowna) einzig und allein für jenen »Säugling« gemietet hatte. Diese Wohnung hatte auch früher stets unter Tatjana Pawlownas Aufsicht gestanden, und es hatte darin stets die Wärterin mit dem kleinen Kind gewohnt (jetzt wohnte auch Darja Onissimowna dort); aber es hatte auch immer ein Zimmer Wersilow gehört, nämlich das erste, am Eingang gelegene, das ziemlich geräumig und mit guten Polstermöbeln ausgestattet war, nach Art eines Arbeitszimmers zum Lesen und Schreiben. In der Tat befanden sich auf dem Tisch, in einem Schrank und auf Regalen eine Menge Bücher (in Mamas Wohnung waren fast gar keine vorhanden) sowie beschriebene Blätter und in Päckchen zusammengebundene Briefe – kurz, alles machte den Eindruck eines schon seit längerer Zeit bewohnten Heims, und ich weiß, daß Wersilow auch früher schon (wenn auch ziemlich selten) zeitweilig ganz in diese Wohnung übergesiedelt und in ihr sogar ganze Wochen lang geblieben war. Das erste, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war ein Bild von Mama, das in einem prächtigen, geschnitzten Rahmen aus kostbarem Holz über dem Schreibtisch hing, eine jedenfalls im Ausland hergestellte Photographie, die, nach ihrem außerordentlich großen Format zu urteilen, sehr teuer gewesen sein mußte. Ich hatte dieses Bild früher nicht gekannt und nie etwas davon gehört, und was mich ganz besonders überraschte, das war die außerordentliche

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