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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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wie seltsam!« sagte ich, in Entzücken gleichsam ertrinkend.
    Und siehe da (ich erinnere mich dessen genau): auf seinem Gesicht schimmerte auf einmal der gewöhnliche,mir so wohlbekannte Ausdruck auf, ein Ausdruck zugleich der Trauer und des Spottes. Er nahm seine Kraft zusammen und begann, anscheinend mit einer gewissen Anstrengung, zu reden.

II
     
    »Siehst du, Arkadij, wenn ich dich früher hergerufen hätte, was hätte ich dir dann sagen sollen? In dieser Frage liegt meine ganze Antwort.«
    »Das heißt, Sie wollen sagen, daß Sie jetzt Mamas Mann und mein Vater sind, während Sie damals ... Sie würden hinsichtlich unseres sozialen Verhältnisses früher nicht gewußt haben, was Sie mir sagen sollten? Nicht wahr?«
    »Nicht nur darüber, mein Lieber, würde ich nicht gewußt haben, was ich dir sagen sollte: auch über vieles andere hätte ich schweigen müssen. Vieles davon ist sogar lächerlich und unwürdig, weil es mit Hokuspokus Ähnlichkeit hat, wirklich, mit richtigem Hokuspokus. Nun, wie hätten wir einander früher verstehen können, wenn ich mich selbst – erst heute nachmittag um fünf Uhr verstanden habe, genau zwei Stunden vor Makar Iwanowitschs Tod. Du siehst mich befremdet und verständnislos an. Sei unbesorgt: ich werde dir die Tatsache erklären; aber das, was ich gesagt habe, ist vollkommen richtig; mein ganzes Leben hat sich in Irrfahrten und Zweifeln bewegt, und nun erfolgt die Lösung am Soundsovielten um fünf Uhr nachmittags! Das ist ordentlich kränkend, nicht wahr? Und die Zeit liegt noch nicht weit zurück, wo ich mich wirklich dadurch gekränkt fühlte.«
    Ich hörte ihm in der Tat mit schmerzlicher Verständnislosigkeit zu: der frühere Wersilowsche Gesichtsausdruck trat wieder stark hervor, jener Ausdruck, den ich an diesem Abend, nachdem schon solche Worte gesprochen waren, nicht zu erblicken gewünscht hätte. Auf einmal rief ich:
    »Mein Gott! Sie haben etwas von ihr erhalten ... heute um fünf Uhr?«
    Er sah mich unverwandt an und war von meinem Ausruf sichtlich überrascht, vielleicht auch durch meinen Ausdruck »von ihr«.
    »Du wirst alles erfahren«, sagte er mit einem nachdenklichen Lächeln, »und ich werde dir natürlich nichts, was duwissen mußt, verheimlichen, denn eben deswegen habe ich dich ja hierhergeführt; aber einstweilen wollen wir das alles noch aufschieben. Siehst du, mein Freund, ich habe schon längst gewußt, daß es bei uns Kinder gibt, die schon von ihrer Kindheit an sich über ihre Familie Gedanken machen und es als eine Kränkung empfinden, daß sie keine vornehmen Väter haben und nicht in vornehmen Verhältnissen aufwachsen. Ich habe solche Grübler schon in meiner Schulzeit kennengelernt und all dies damals darauf zurückgeführt, daß sie gar zu früh neidisch seien. Da ich jedoch selbst zu diesen grüblerischen Kindern gehörte ... aber entschuldige, mein Lieber, ich bin schrecklich zerstreut. Ich wollte nur darauf hinweisen, in welcher Sorge um dich ich diese ganze Zeit über beständig gewesen bin. Ich stellte dich mir immer als eines jener kleinen Wesen vor, die sich schon ihrer Begabung bewußt sind und sich von andern absondern. Ich habe ebenfalls, gerade wie du, zu meinen Schulkameraden niemals eine Zuneigung empfunden. Sie sind recht übel dran, diese Menschenkinder, die sich nur auf ihre Kräfte und auf ihre Träumereien angewiesen sehen und dabei ein leidenschaftliches, verfrühtes, beinahe rachsüchtiges Verlangen nach Vornehmheit besitzen, jawohl, ein rachsüchtiges Verlangen. Aber genug davon, mein Lieber: ich bin wieder abgeschweift ... Schon ehe ich dich liebgewann, habe ich mir eine Vorstellung von dir und deinen einsamen, menschenscheuen Träumereien zu machen gesucht ... Aber genug davon; ich habe eigentlich vergessen, wovon ich angefangen hatte zu reden! Indessen mußte das alles einmal ausgesprochen werden. Früher aber, was hätte ich dir da sagen können? Jetzt sehe ich deinen Blick auf mich gerichtet und weiß, daß mich mein Sohn ansieht; aber selbst gestern konnte ich ja noch nicht glauben, daß ich einmal so wie heute mit meinem Jungen zusammensitzen und mit ihm reden würde.«
    Er war tatsächlich sehr zerstreut geworden, schien aber zugleich über etwas gerührt zu sein.
    »Ich brauche jetzt keine Träumereien und Phantasien, mir genügen jetzt die Gespräche mit Ihnen! Ich werde auf dem Lebensweg mit Ihnen gehen!« sagte ich mit voller Hingebung.
    »Mit mir gehen? Aber meine Wanderungen haben gerade ihr Ende gefunden,

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