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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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segensreich sein. Die Wissenschaft und das Leben werden zweifellos in drei, vier Jahren den Horizont Ihrer Gedanken und Bestrebungen noch erweitern, und wenn Sie nach Beendigung des Universitätsstudiums den Wunsch haben sollten, sich von neuem Ihrer ›Idee‹ zuzuwenden, so wird dem nichts im Wege stehen.
    Gestatten Sie jetzt, daß ich selbst, sogar ohne von Ihnen darum gebeten zu sein, Ihnen offenherzig einige Gedanken und Empfindungen vortrage, die die Lektüre Ihrer so offenherzigen ›Aufzeichnungen‹ in meinem Kopf und in meiner Seele wachgerufen hat. Ja, ich stimme Andrej Petrowitsch darin bei, daß man tatsächlich für Sie wegen der Vereinsamung Ihrer Jugend Befürchtungen hegen konnte. Es gibt solche Jünglinge wie Sie nicht wenige, und ihre Fähigkeiten drohen wirklich immer sich nach der schlechten Seite hin zu entwickeln: entweder zu der Kriecherei eines Moltschalin oder zu dem heimlichen Verlangen nach Unordnung. Aber dieses Verlangen nach Unordnung entspringt vielleicht – und zwar sogar in den allermeisten Fällen – aus einem heimlichen Durst nach Ordnung und ›edler Schönheit‹ (ich gebrauche Ihren eigenen Ausdruck). Die Jugend ist schon deshalb rein, weil sie eben Jugend ist. Vielleicht steckt in diesen so frühen Ausbrüchen von Unverstand gerade dieser Durst nach Ordnung und dieses Suchen nach Wahrheit, und wer ist denn schuld daran, daß manche jungen Leute der Gegenwart diese Wahrheit und diese Ordnung in so dummen, lächerlichen Dingen sehen, daß man gar nicht begreift, wie sie überhaupt daran haben glauben können! Ich bemerke beiläufig, daß man früher, in noch gar nicht weit zurückliegender Zeit, noch vor einem Menschenalter, diese interessanten Jünglinge nicht so besonders zu bedauern brauchte, weil die Sache damals beiihnen fast immer damit endete, daß sie sich nachher erfolgreich unserer höchsten Kulturschicht anschlossen und mit ihr zu einem Ganzen verschmolzen. Und mochten sie sich auch zum Beispiel am Anfang des Weges ihrer ganzen Unordnung und Zufälligkeit, des gänzlichen Mangels an Vornehmheit wenigstens in ihren Familienverhältnissen und des Mangels an einer Stammestradition und an schönen, vollendeten Formen bewußt sein, so war das doch gerade um so besser, da sie infolgedessen nachher aus eigenem Antrieb bewußt danach trachteten und es eben dadurch schätzen lernten. Heutzutage liegen die Dinge schon wesentlich anders – eben deswegen, weil es so gut wie nichts gibt, woran sie sich anschließen könnten.
    Ich will das durch einen Vergleich oder sozusagen durch den Hinweis auf etwas Ähnliches verdeutlichen. Wenn ich ein russischer Romanschriftsteller wäre und Talent besäße, so würde ich meine Helden unbedingt aus dem russischen Erbadel entnehmen, da nur bei diesem einen Typ von gebildeten Russen wenigstens ein Schein von schöner Ordnung und schönem Gefühlsleben zu finden ist, Dinge, die in einem Roman zu einer guten, veredelnden Wirkung auf den Leser unentbehrlich sind. Wenn ich das sage, so meine ich es durchaus nicht scherzhaft, obgleich ich selbst ganz und gar kein Adliger bin, was Ihnen übrigens selbst bekannt ist. Schon Puschkin hat sich in den ›Traditionen einer russischen Familie‹ Stoffe für seine künftigen Romane angemerkt, und Sie können mir glauben, daß dort tatsächlich alles zu finden ist, was es bei uns bisher Schönes gegeben hat. Wenigstens ist dort alles zu finden, was es bei uns auch nur einigermaßen Fertiges gegeben hat. Ich sage das nicht, weil ich so unbedingt von der Richtigkeit und Wahrheit dieser Schönheit überzeugt wäre; aber hier gab es zum Beispiel schon längst vollendete Formen des Ehr- und Pflichtbegriffs, von dem außerhalb des Adels in Rußland nichts Vollendetes, ja nicht einmal ein erster Anfang vorhanden ist. Ich rede als ruhiger, ruheliebender Mensch.
    Ob der dort bestehende Ehr- und Pflichtbegriff gut und richtig ist – das bleibt eine andere Frage; aber das wichtigste ist für mich gerade die Vollendung der Form und die wie auch immer beschaffene Ordnung, und zwar eine Ordnung,die ihnen nicht vorgeschrieben ist, sondern die sie sich vor allen Dingen selbst erworben haben. O Gott, das allerwichtigste ist eben bei uns eine wie auch immer beschaffene, aber vor allen Dingen eigene Ordnung! Darin lag unsere Hoffnung und sozusagen unser Augentrost: endlich wenigstens etwas Aufgebautes, nicht dieses ewige Einreißen, nicht die überall umherfliegenden Späne, nicht Schutt und Staub, aus denen nun schon seit

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