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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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recht aufgebracht gewesen war, änderte auf einmal ihre Meinung und erklärte ihr nach der Ablehnung des Geldes feierlich ihre Hochachtung. Dafür entzweite sich ihr Bruder aus diesem Grund mit ihr für alle Zeit. Aber obwohl ich Anna Andrejewna häufig besuche, kann ich doch nicht sagen, daß wir miteinander gerade sehr intim geworden wären; von der Vergangenheit reden wir überhaupt nicht; sie empfängt mich bei sich sehr gern, spricht aber mit mir irgendwie ziemlich abstrakt. Unter anderem hat sie mir bestimmt erklärt, sie werde unbedingt ins Kloster gehen; das ist noch nicht lange her, aber ich glaube nicht daran und halte es nur für eine Äußerung der Bitterkeit.
    Aber eine bittere, wahrhaft bittere Mitteilung habe ich insonderheit noch über meine Schwester Lisa zu machen. Das ist ein wirkliches Unglück; was bedeuten alle meine Mißerfolge gegen ihr trauriges Schicksal! Es begann damit, daß Fürst Sergej Petrowitsch nicht wieder gesund wurde, sondern noch vor dem Urteilsspruch im Lazarett starb. Er verschied noch vor dem Fürsten Nikolai Iwanowitsch. Lisa blieb mit ihrem zu erwartenden Kind allein zurück. Sie weinte nicht und war offenbar sogar ruhig; sie wurde sanft und friedlich; aber die ganze frühere Glut ihres Herzens schien plötzlich irgendwo in ihrem Innern ihr Grab gefunden zu haben. Sie half Mama demütig in der Wirtschaft und pflegte den kranken Andrej Petrowitsch, aber sie wurde furchtbar schweigsam und sah niemanden und nichts an, als ob ihr alles gleich wäre und sie teilnahmslos daran vorüberginge. Als sich Wersilows Befinden gebessert hatte, begann sie sehr viel zu schlafen. Ich brachte ihr Bücher, aber sie las sie nicht; sie magerte in erschreckender Weise ab. Ichversuchte es nicht, sie zu trösten: ich wagte es nicht, obwohl ich oft eben mit dieser Absicht zu ihr ging; wenn ich jedoch mit ihr zusammen war, so vermochte ich ihr seelisch nicht nahezukommen und fand auch nicht die richtigen Worte, mit denen ich sie hätte ansprechen können. So dauerte dieser Zustand fort, bis sich ein schrecklicher Unfall ereignete: sie fiel unsere Treppe hinunter, nicht hoch, nur drei Stufen, aber sie hatte infolgedessen eine Fehlgeburt, und ihre Krankheit zog sich fast den ganzen Winter hin. Jetzt ist sie schon vom Bett auf, aber ihre Gesundheit hat für lange Zeit einen bösen Stoß bekommen. Sie ist wie früher uns gegenüber schweigsam und in sich gekehrt, aber mit Mama hat sie ein bißchen zu sprechen angefangen. All diese letzten Tage über hat die Frühlingssonne hell vom hohen Himmel geschienen, und ich mußte immer im stillen an jenen sonnigen Vormittag denken, als ich im vorigen Herbst mit ihr auf der Straße ging und wir beide so froh und voll Hoffnung waren und einander so liebhatten. Ach, was ist seitdem alles geschehen! Ich beklage mich nicht: für mich hat ein neues Leben begonnen – aber sie? Ihre Zukunft ist ein Rätsel, und ich kann meine Schwester jetzt gar nicht ansehen, ohne daß mir das Herz weh tut.
    Vor ungefähr drei Wochen gelang es mir aber doch, durch eine Nachricht über Wassin ihr Interesse zu erregen. Seine Haft war endlich aufgehoben und er vollständig in Freiheit gesetzt worden. Dieser verständige Mensch hatte, wie man erzählte, die genauesten Aufklärungen gegeben und die interessantesten Mitteilungen gemacht, durch die in den Augen der Leute, von denen sein Schicksal abhing, seine Unschuld vollständig erwiesen war. Auch sein vielberufenes Manuskript hatte sich lediglich als Übersetzung aus dem Französischen erwiesen, sozusagen als Material, das er einzig und allein für sich gesammelt hatte, in der Absicht, es später einmal zu einer soliden Abhandlung für ein Journal zu benutzen. Er hat sich jetzt nach dem Gouvernement *** begeben; sein Stiefvater Stebelkow aber sitzt immer noch im Gefängnis wegen seiner Affäre, die, wie ich gehört habe, sich je länger, je mehr auswächst und kompliziert. Lisa hörte diese Nachricht über Wassin mit einem eigentümlichen Lächeln an und äußerte sich sogar dahin, diesen Ausganghabe seine Sache auch unfehlbar nehmen müssen. Aber sie war sichtlich zufrieden, natürlich darüber, daß Wassin durch die Einmischung des Fürsten Sergej Petrowitsch nicht zu Schaden gekommen war. Von Dergatschew und den andern habe ich hier nichts mitzuteilen.
    Ich bin zu Ende. Vielleicht möchte dieser oder jener Leser gern wissen, was eigentlich aus meiner »Idee« geworden ist und was es mit dem neuen Leben auf sich hat, das für mich

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