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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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sogar Tatjana Pawlowna gegenüber Stillschweigen; aber genug hiervon. Ich füge nur noch hinzu, daß Katerina Nikolajewna nicht verheiratet ist und mit der Familie Pelischtschew zusammen reist. Ihr Vater ist gestorben, und sie ist nun eine der reichsten Witwen, die es gibt. Augenblicklich befindet sie sich in Paris. Ihr Bruch mit Bjoring vollzog sich schnell und sozusagen von selbst, das heißt auf höchst natürliche Weise. Aber ich will das doch erzählen.
    An dem Vormittag, an welchem sich jene furchtbare Szene abspielte, hatte der Pockennarbige, eben jener, zu dem Trischatow und sein Freund übergegangen waren, Zeit gefunden, Bjoring von dem beabsichtigten Attentat zu benachrichtigen. Das war so gekommen: Lambert hatte ihn trotz seines Sträubens doch zur Teilnahme überredet und, nachdem er sich damals des Schriftstücks bemächtigt hatte, ihm alle Einzelheiten und näheren Umstände des Unternehmens mitgeteilt und zuletzt auch das allerletzte Stück ihres Planes, das heißt die List, die Wersilow ersonnen hatte, um Tatjana Pawlowna zu täuschen. Aber im entscheidenden Augenblick hatte der Pockennarbige, der klüger als die andern alle war und vorhersah, daß ihre Projekte zu einem kriminellen Verbrechen führen konnten, an Lambert Verrat begangen. Die Hauptsache war: er hielt Bjorings Dankbarkeit für sehr viel sicherer als den phantastischen Plan des ungeschickten, hitzigen Lambert und des von seiner Leidenschaft fast verrückten Wersilow. Alles das habe ich später von Trischatow erfahren. Beiläufig bemerkt: ich weiß nicht und verstehe nicht, in welchem Verhältnis Lambert zu dem Pockennarbigen stand und warum Lambert nicht ohne ihn zurechtkommen konnte. Aber weit mehr interessiert mich die Frage: warum bedurfte Lambert Wersilows, während Lambert doch, da er das Schriftstück in Händen hatte, die Sache gänzlich ohne dessen Beihilfe hätte erledigen können? Die Antwort ist mir jetzt klar: er bedurfteWersilows erstens deshalb, weil dieser alle Verhältnisse genau kannte, und besonders bedurfte er seiner für den Fall, daß Lärm oder irgendein Unglück entstand, um die ganze Verantwortung auf ihn abzuwälzen. Und da Wersilow keine Geldforderung stellte, so hielt Lambert seine Beihilfe sogar für sehr willkommen. Aber Bjoring traf damals nicht zur rechten Zeit ein. Er kam erst eine Stunde nach dem Schuß, als Tatjana Pawlownas Wohnung bereits einen ganz andern Anblick bot. Nämlich etwa fünf Minuten, nachdem Wersilow blutbedeckt auf den Teppich gefallen war, hatte Lambert, den wir alle für tot gehalten hatten, sich aufgerichtet und war aufgestanden. Er hatte erstaunt um sich geblickt, auf einmal schnell seine Gedanken gesammelt und war, ohne ein Wort zu sagen, in die Küche hinausgegangen; dort hatte er seinen Pelz angezogen und war für immer verschwunden. Das »Schriftstück« hatte er auf dem Tisch liegenlassen. Ich habe gehört, daß er nicht einmal eigentlich krank, sondern nur ein bißchen unwohl gewesen ist: der Schlag mit dem Revolver hatte ihn betäubt und eine blutende Wunde verursacht, ohne ihm weiteren Schaden zuzufügen. Inzwischen war Trischatow schon weggelaufen, um einen Arzt zu holen; aber noch ehe dieser eintraf, war auch Wersilow wieder zur Besinnung gekommen, und noch bevor dies geschehen war, hatte Tatjana Pawlowna Katerina Nikolajewna ins Bewußtsein zurückgerufen und nach Hause bringen können. So befanden sich denn, als Bjoring zu uns hereingestürzt kam, in Tatjana Pawlownas Wohnung nur ich, der Arzt, der verwundete Wersilow und Mama, zu der Trischatow ebenfalls hingelaufen war und die trotz ihrer noch nicht behobenen Krankheit in größter Aufregung zu Wersilow geeilt war. Bjoring sah sich verständnislos um, und als er erfahren hatte, daß Katerina Nikolajewna schon weggefahren sei, begab er sich, ohne uns ein Wort zu sagen, sogleich zu ihr.
    Er war sehr beunruhigt; er glaubte mit Bestimmtheit, daß jetzt skandalöses Aufsehen und häßliches Gerede fast unvermeidlich seien. Ein skandalöses Aufsehen erregte der Vorfall jedoch nicht, es kamen nur Gerüchte in Umlauf. Daß ein Schuß abgefeuert worden war, das zu verbergengelang allerdings nicht; aber die Hauptsache an der Geschichte, ihr eigentlicher Kern, blieb fast unbekannt; Nachforschungen Neugieriger ergaben nur, daß ein gewisser W., obwohl Familienvater und fast fünfzigjährig, in sinnloser Leidenschaft einer höchst achtenswerten Dame eine Liebeserklärung gemacht habe; die Dame habe jedoch seine Gefühle ganz und gar

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