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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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ich scharf, indem ich mich zum erstenmal an ihn wandte.
    »Eine wertvolle Mitteilung; nur hätte sie mit Rücksicht auf die Damen in feinerer Form gemacht werden sollen!«
    Aber nun gerieten alle in lebhafte Bewegung; alle suchten ihre Hüte und wollten fortgehen, allerdings nicht um meinetwillen, sondern weil es Zeit war; aber dieses schweigsame Verhalten mir gegenüber war für mich doch sehr niederdrückend und beschämend. Ich sprang ebenfalls auf.
    »Gestatten Sie aber die Frage nach Ihrem Namen: Sie haben mich fortwährend angesehen«, sagte der Lehrer, indem er mit einem niederträchtigen Lächeln zu mir trat.
    »Dolgorukij.«
    »Fürst Dolgorukij?«
    »Nein, einfach Dolgorukij, Sohn des früheren Leibeigenen Makar Dolgorukij und illegitimer Sohn meines früheren Gutsherrn, des Herrn Wersilow. Beunruhigen Sie sich nicht, meine Herren; ich sage das ganz und gar nicht, damit Sie mir deswegen sogleich um den Hals fallen und wir alle wie die Kälber vor Rührung zu brüllen anfangen!«
    Mit einemmal erscholl eine laute, höchst ungenierte Lachsalve, so daß das kleine Kind hinter der Tür, das eingeschlafen war, aufwachte und zu schreien anfing. Ich zittertevor Wut. Alle drückten Dergatschew die Hand und gingen hinaus, ohne mir die geringste Beachtung zu schenken.
    »Kommen Sie!« sagte Krafft, indem er mich anstieß.
    Ich trat zu Dergatschew hin, drückte ihm die Hand, so stark ich konnte, und schüttelte sie ihm mehrmals, ebenfalls so stark ich konnte.
    »Nehmen Sie es nicht übel, daß Kudrjumow« (so hieß der Rothaarige) »Sie fortwährend beleidigt hat«, sagte Dergatschew zu mir.
    Ich folgte Krafft. Ich empfand nicht die Spur von Beschämung.

VI
     
    Natürlich ist zwischen dem Menschen, der ich jetzt bin, und dem, der ich damals war, ein unermeßlicher Unterschied.
    Immer noch ohne eine Spur von Beschämung zu empfinden, holte ich auf der Treppe Wassin ein. Ich ließ Krafft wie eine Persönlichkeit zweiten Ranges vorausgehen und fragte Wassin mit der harmlosesten Miene, als wäre nichts geschehen:
    »Sie kennen, glaube ich, meinen Vater, ich meine Wersilow?«
    »Eigentlich bekannt bin ich mit ihm nicht«, antwortete Wassin sofort (und ohne den geringsten Beiklang jener beleidigenden, raffinierten Höflichkeit, deren sich zartfühlende Leute zu bedienen pflegen, wenn sie zu jemand sprechen, der sich soeben blamiert hat), »aber ich kenne ihn einigermaßen; ich bin mit ihm zusammengetroffen und habe ihn reden hören.«
    »Wenn Sie ihn haben reden hören, dann kennen Sie ihn natürlich auch, denn Sie sind eben Sie! Wie denken Sie über ihn? Verzeihen Sie die plötzliche Frage, aber es liegt mir daran, es zu wissen. Gerade wie Sie über ihn denken, speziell Ihre Meinung zu hören, ist für mich eine dringende Notwendigkeit.«
    »Da fragen Sie mich viel auf einmal. Ich halte ihn für einen Menschen, der fähig ist, gewaltige Ansprüche an sich zu stellen und sie vielleicht auch zu erfüllen, der aber niemandem über sein Tun Rechenschaft ablegen mag.«
    »Das ist richtig, das ist sehr richtig; er ist ein sehr stolzer Mensch! Aber ist er auch ein reiner Mensch? Sagen Sie, wie denken Sie über seinen Katholizismus? Aber ich habe nicht daran gedacht, daß es Ihnen vielleicht unbekannt ist ...«
    Wenn ich nicht so aufgeregt gewesen wäre, hätte ich ihn nicht so ohne weiteres mit solchen Fragen überschüttet, einen Menschen, mit dem ich noch nie gesprochen, sondern über den ich nur einiges gehört hatte. Ich wunderte mich darüber, daß Wassin mein verrücktes Benehmen nicht zu bemerken schien!
    »Auch davon habe ich etwas gehört, weiß aber nicht, inwieweit die Nachricht zuverlässig ist«, antwortete er mit derselben Ruhe und Schlichtheit wie vorher.
    »Es ist eine grobe Unwahrheit! Man dichtet ihm das nur an! Meinen Sie denn, daß er an Gott glauben kann?«
    »Er ist ein sehr stolzer Mensch, wie Sie soeben selbst gesagt haben; viele sehr stolze Menschen lieben es aber, an Gott zu glauben, besonders solche, die gegenüber ihren Mitmenschen eine gewisse Geringschätzung empfinden. Viele starke Menschen haben, wie es scheint, ein natürliches Bedürfnis, irgend jemand oder irgend etwas zu finden, wovor sie sich beugen können. Für einen starken Menschen ist es manchmal sehr schwer, seine Stärke zu ertragen.«
    »Hören Sie, das ist sicherlich außerordentlich wahr!« rief ich wieder. »Ich möchte nur gern verstehen, warum ...«
    »Der Grund ist ja klar: sie wählen Gott, um sich nicht vor Menschen zu

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