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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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beugen; natürlich haben sie selbst von diesem psychologischen Vorgang keine Kenntnis: sich vor Gott zu beugen, ist nicht so demütigend. Aus ihnen werden die eifrigsten Gläubigen – richtiger gesagt, diejenigen, die den eifrigsten Wunsch zu glauben haben; aber diesen Wunsch halten sie für den Glauben selbst. Gerade von ihnen empfinden schließlich nicht wenige ein Gefühl der Enttäuschung. Von Herrn Wersilow glaube ich, daß eine große Aufrichtigkeit ein besonderer Zug seines Charakters ist. Er hat überhaupt mein Interesse erregt.«
    »Wassin!« rief ich, »Sie machen mir eine große Freude! Ich bin nicht über Ihren Verstand erstaunt, sondern darüber, wie Sie, ein so herrlicher und so unermeßlich hochüber mir stehender Mann, mit mir gehen und so schlicht und freundlich mit mir reden mögen, als ob nichts vorgefallen wäre!«
    Wassin lächelte.
    »Sie loben mich denn doch zu sehr, und vorgefallen ist doch weiter nichts, als daß Sie eine zu große Neigung zu abstrakten Gesprächen bekundet haben. Wahrscheinlich haben Sie vorher sehr lange geschwiegen.«
    »Ich habe drei Jahre lang geschwiegen und mich drei Jahre lang auf das Reden vorbereitet ... Als Dummkopf konnte ich Ihnen natürlich nicht erscheinen, weil Sie selbst so überaus klug sind, obwohl es unmöglich war, sich dümmer zu benehmen, als ich es getan habe, aber für einen Schuft konnten Sie mich halten.«
    »Für einen Schuft?«
    »Ja, gewiß! Sagen Sie, verachten Sie mich nicht im stillen deswegen, weil ich gesagt habe, ich sei ein illegitimer Sohn Wersilows ... weil ich mich gerühmt habe, der Sohn eines Hofknechts zu sein?«
    »Sie quälen sich selbst zu sehr. Wenn Sie finden, daß Sie nicht gut gesprochen haben, so brauchen Sie es ja nur das nächste Mal anders zu machen; Sie haben noch fünfzig Jahre vor sich.«
    »Oh, ich weiß, daß ich im Verkehr mit Menschen sehr schweigsam sein muß. Der gemeinste von allen Fehlern ist, sich jemandem an den Hals zu werfen; das habe ich denen soeben gesagt, und doch werfe ich mich Ihnen jetzt an den Hals! Aber es ist doch ein Unterschied, nicht wahr? Wenn Sie diesen Unterschied erkannt haben, wenn Sie imstande gewesen sind, ihn zu erkennen, dann will ich diesen Augenblick segnen.«
    Wassin lächelte wieder.
    »Kommen Sie zu mir, wenn Sie Lust dazu haben«, sagte er. »Ich habe allerdings jetzt eine Arbeit vor, die mich stark in Anspruch nimmt, aber Sie werden mir eine Freude machen.«
    »Ich glaubte vorhin aus Ihrem Gesicht schließen zu können, daß Sie gar zu ablehnend und schweigsam seien.«
    »Das ist vielleicht sehr richtig. Ich habe Ihre Schwester Lisaweta Makarowna im vorigen Jahr in Luga kennengelernt... Krafft ist stehengeblieben und wartet auf Sie, wie es scheint; er muß hier abbiegen.«
    Ich drückte Wassin kräftig die Hand und lief zu Krafft hin, der während meines Gesprächs mit Wassin immer vorangegangen war. Wir gingen schweigend bis zu seiner Wohnung; ich wollte und konnte noch nicht mit ihm reden. In Kraffts Charakter war einer der am stärksten ausgeprägten Züge das Zartgefühl.

Viertes Kapitel
     
I
     
    Krafft hatte früher irgendein Amt bekleidet und war gleichzeitig dem verstorbenen Andronikow (gegen eine Entschädigung) bei der Führung gewisser Privatgeschäfte behilflich gewesen, mit denen sich dieser beständig neben seiner Amtstätigkeit abgab. Für mich war schon der Umstand von Wichtigkeit, daß Krafft infolge seines besonders nahen Verhältnisses zu Andronikow manches von dem wissen konnte, was mich interessierte. Aber ich wußte von Marja Iwanowna – der Frau jenes Nikolai Semjonowitsch, bei dem ich als Gymnasiast so viele Jahre lang gewohnt hatte –, welche eine Nichte, Pflegetochter und Favoritin Andronikows gewesen war, daß Krafft sogar den »Auftrag« erhalten hatte, mir etwas zu übergeben. Ich hatte auf ihn schon einen ganzen Monat gewartet.
    Er hatte eine kleine, nur aus zwei Zimmern bestehende Wohnung, in der er vollständig allein wohnte, und in diesem Augenblick, wo er eben erst zurückgekehrt war, war er sogar ohne Bedienung. Seinen Koffer hatte er zwar schon geöffnet, den Inhalt aber noch nicht weggeräumt; die Sachen lagen auf den Stühlen umher, und auf dem Sofatisch lagen eine Reisetasche, ein Reisenecessaire, ein Revolver und mehr dergleichen.
    Als wir eintraten, war Krafft tief in Gedanken versunken, als hätte er mich vollständig vergessen; vielleicht hatte er auch gar nicht bemerkt, daß ich unterwegs nicht mit ihm gesprochen hatte. Er begann

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