Der Jüngling
wird.‹ Nun aber, Ihre Verzweiflung ... über das Schicksal Rußlands ..., ist das denn nicht eine Sorge ähnlicher Art?«
»Das ... das ist die brennendste Frage, die es überhaupt gibt!« erwiderte er gereizt und stand schnell von seinem Platz auf.
»Ach ja! Das habe ich ganz vergessen!« sagte er auf einmal in ganz anderem Ton und sah mich überrascht an. »Ich habe Sie ja in einer besonderen Angelegenheit zu mir gebeten, und dabei ... Ich bitte vielmals um Entschuldigung.«
Es war, als käme er plötzlich von einem Traum wieder zu sich, so verwirrt war er. Er nahm aus einer Brieftasche, die auf dem Tisch lag, einen Brief heraus und gab ihn mir.
»Hier! Das sollte ich Ihnen übergeben. Es ist das ein Schriftstück, das eine gewisse Wichtigkeit hat«, begann er, nunmehr mit gesammelter Aufmerksamkeit und durchaus geschäftsmäßiger Miene. Noch lange nachher hat mich bei der Erinnerung daran diese seine Fähigkeit (noch dazu in Stunden, die für ihn selbst von solcher Bedeutung waren!) beeindruckt, an einer fremden Angelegenheit so herzlichen Anteil zu nehmen und sie mit solcher Ruhe und Bestimmtheit auseinanderzusetzen.
»Es ist dies ein Brief eben jenes Herrn Stolbejew, nach dessen Tode wegen seines Testaments der Prozeß zwischen Wersilow und den Fürsten Sokolskij entstand. Dieser Prozeß steht jetzt vor der gerichtlichen Entscheidung und wird wahrscheinlich zu Wersilows Gunsten entschieden werden; das Gesetz ist auf seiner Seite. In diesem Brief jedoch, einem Privatbrief, der vor zwei Jahren geschrieben ist, setzt der Erblasser selbst seine wahre Willensmeinung oder, richtiger gesagt, seine Wünsche mehr zugunsten der Fürsten als zu Wersilows Gunsten auseinander. Wenigstens erhalten diejenigen Punkte, durch welche die Fürsten Sokolskij ihre Anfechtung des Testaments begründen, in diesem Briefeine starke Unterstützung. Wersilows Gegner würden viel für dieses Schriftstück geben, das übrigens keine ausschlaggebende juristische Bedeutung hat. Alexej Nikanofowitsch« (Andronikow), »der sich mit Wersilows Prozeß beschäftigte, bewahrte diesen Brief bei sich auf und händigte ihn mir nicht lange vor seinem Tode ein mit dem Auftrag, ihn ›in Verwahrung zu nehmen‹ – vielleicht ahnte er seinen baldigen Tod und fürchtete für die Sicherheit seiner Papiere. Ich möchte mir jetzt über Alexej Nikanorowitschs Absichten in dieser Sache kein Urteil erlauben, und ich muß gestehen, ich befand mich nach seinem Tod in einer etwas peinlichen Ungewißheit, was ich mit diesem Schriftstück machen solle, besonders im Hinblick auf die nahe bevorstehende Entscheidung dieses Prozesses vor Gericht. Aber Marja Iwanowna, der Alexej Nikanorowitsch, wie es scheint, zu seinen Lebzeiten sehr viel Vertrauen geschenkt hat, half mir aus meiner schwierigen Lage heraus: sie schrieb mir vor drei Wochen mit aller Entschiedenheit, ich solle das Schriftstück gerade Ihnen übergeben; es scheine (dies war ihr Ausdruck), daß dies auch mit Andronikows Absichten zusammenfallen werde. Also hier ist das Schriftstück, und ich freue mich sehr, daß ich es Ihnen endlich einhändigen kann.«
»Hören Sie mal«, sagte ich, durch eine so unerwartete Neuigkeit nicht wenig bestürzt, »was soll ich jetzt mit diesem Brief anfangen? Wie soll ich mich verhalten?«
»Das steht ganz in Ihrem Belieben.«
»Unmöglich, ich bin dabei in hohem Grade unfrei, das müssen Sie doch selbst sagen! Wersilow hat so auf diese Erbschaft gewartet ... und wissen Sie, er geht ohne diese Beihilfe zugrunde ... und nun existiert plötzlich ein solches Schriftstück!«
»Es existiert nur hier, in diesem Zimmer.«
»Wirklich?« fragte ich, indem ich ihn aufmerksam anblickte.
»Wenn Sie in diesem Falle nicht selbst wissen, wie Sie sich verhalten sollen, was kann ich Ihnen dann für einen Rat geben?«
»Aber dem Fürsten Sokolskij den Brief übergeben, das kann ich doch auch nicht: damit würde ich alle Hoffnungen Wersilows vernichten und außerdem an ihm zum Verräterwerden ... Andrerseits, wenn ich den Brief Wersilow einhändige, bringe ich unschuldige Menschen an den Bettelstab und versetze dennoch Wersilow in eine verzweifelte Lage: er muß entweder auf die Erbschaft verzichten oder zum Dieb werden.«
»Sie übertreiben die Bedeutung, die die Sache hat.«
»Sagen Sie mir nur eines: hat dieses Schriftstück einen ausschlaggebenden, entscheidenden Charakter?«
»Nein, den hat es nicht. Ich bin kein großer Jurist. Der Advokat der Gegenpartei würde
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