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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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Iwanowna, die das Schriftstück »in Verwahrung« gehabt hatte, bei ihrer Vorliebe für alles Romanhafte für nötig befunden hatte, es mir zu übergeben und keinem andern, das hatte von ihrer Ansicht und ihrem freien Willen abgehangen, und ich bin nicht verpflichtet, es zu erklären; vielleicht erzähle ich die Geschichte einmal bei Gelegenheit;aber nachdem ich in so unerwarteter Weise eine Waffe in die Hand bekommen hatte, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, mich in Petersburg zu zeigen. Allerdings beabsichtigte ich diesem Menschen nur insgeheim zu helfen, ohne selbst hervorzutreten und ohne mich zu ereifern und ohne von ihm Belobigungen oder Umarmungen zu erwarten. Und niemals, niemals wollte ich mich dazu herabwürdigen , ihm irgendeinen Vorwurf zu machen! Was konnte er denn auch dafür, daß ich mich in ihn verliebt und mir aus ihm ein phantastisches Ideal zurechtgemacht hatte? Und vielleicht liebte ich ihn nicht einmal. Sein origineller Geist, sein interessanter Charakter, seine Intrigen und Abenteuer und der Umstand, daß meine Mutter bei ihm wohnte, all das hätte mich, wie ich glaubte, nicht mehr halten können; es genügte schon das eine, daß meine phantastische Puppe zerbrochen war und ich ihn vielleicht nicht mehr lieben konnte. Was war es denn also, was mich hielt und woran ich mich festklammerte? Das war die Frage. Und als Resultat ergab sich, daß nur ich der Dumme war und sonst niemand.
    Aber wie ich von anderen Ehrlichkeit verlange, so werde ich auch selbst ehrlich sein: ich muß bekennen, daß das in meiner Tasche eingenähte Schriftstück in mir nicht nur den leidenschaftlichen Wunsch erregt hatte, Wersilow zu Hilfe zu eilen. Jetzt ist mir das alles vollständig klar, und auch schon damals brachte mich ein anderer Gedanke zum Erröten. Es hatte mir eine Frau vorgeschwebt, ein stolzes Wesen aus den höchsten Kreisen, der ich Auge in Auge gegenübertreten würde; sie würde mich verachten, über mich lachen wie über eine armselige Maus, ohne auch nur zu ahnen, daß ich der Herr ihres Schicksals bin. Dieser Gedanke hatte mich schon in Moskau berauscht und besonders im Eisenbahnwagen, als ich hierherfuhr; ich habe das schon weiter oben eingestanden. Ja, ich haßte diese Frau, aber ich liebte sie bereits als mein Opfer, und das alles ist die reine Wahrheit, so war das alles in Wirklichkeit. Aber dabei war das ein so kindisches Benehmen, wie ich es nicht einmal von einem solchen Menschen wie mir erwartet hätte. Ich schildere meine damaligen Empfindungen, das heißt das, was mir damals durch den Kopf ging, als ich in dem Restaurantunter der Nachtigall saß und den Entschluß faßte, noch an diesem Abend ein für allemal mit ihnen zu brechen. Der Gedanke an die kurz vorher erfolgte Begegnung mit dieser Frau trieb mir plötzlich die Schamröte ins Gesicht. Eine schmähliche Begegnung! Ein schmählicher, dummer Eindruck, der – und das war das Wichtigste – auf das deutlichste meine Unfähigkeit zu ernstem Handeln bewies. Es bewies nur – so dachte ich damals –, daß ich nicht einmal den dümmsten Verlockungen Widerstand zu leisten imstande sei, während ich doch selbst eben erst zu Krafft gesagt hatte, ich hätte »meinen Platz« und meine Aufgabe, und selbst ein Leben von dreifacher Länge würde mir noch zu wenig sein. Voll Stolz hatte ich das gesagt. Daß ich meine Idee beiseite geworfen und mich in Wersilows Angelegenheiten eingemischt hatte, dafür könnte man noch eine Entschuldigung vorbringen; aber daß ich wie ein überraschter Hase mich von einer Seite nach der andern warf und mich auf alle möglichen Lappalien einließ, daran war offenbar nichts anderes als meine Dummheit schuld. Hatte mich der Teufel reiten müssen, zu Dergatschew hinzugehen und dort mit meinen Dummheiten herauszuplatzen, obwohl ich doch schon längst wußte, daß ich es nicht verstehe, etwas verständig und vernünftig darzulegen, und am besten tue zu schweigen! Und so ein Wassin mußte mich dann durch den Hinweis darauf trösten, daß ich »noch fünfzig Lebensjahre vor mir hätte und somit kein Grund vorläge, mich zu grämen«. Dieser sein Gedanke ist schön, das gebe ich zu, und macht seinem unbestreitbaren Verstand alle Ehre; schön ist er schon dadurch, daß er ganz einfach ist, und das Einfachste begreift man immer erst zuletzt, wenn man schon alles, was wunderlicher und dümmer ist, durchprobiert hat; aber ich hatte diesen Gedanken schon selbst gekannt, noch ehe Wassin ihn aussprach; diesen Gedanken

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