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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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daß ihr wegkommt; intrigiert und beißt euch untereinander – was geht's mich an!«
    »Bleiben Sie noch ein Weilchen!« sagte er auf einmal, als er mich schon bis zur Eingangstür begleitet hatte.
    Ich wunderte mich ein bißchen, kehrte um und setzte mich wieder hin. Krafft setzte sich mir gegenüber. Wir lächelten uns gegenseitig an. Ich sehe das alles vor mir, als geschähe es jetzt. Ich erinnere mich deutlich, daß sich in mir ein Gefühl der Bewunderung für ihn regte.
    »Es gefällt mir an Ihnen, daß Sie ein so höflicher Mensch sind«, sagte ich plötzlich.
    »Ja?«
    »Ich glaube, es gefällt mir darum, weil ich selbst es so selten verstehe, höflich zu sein, obwohl ich wünschen möchte, es zu verstehen ... Nun, aber vielleicht ist es ganz gut, wenn die Menschen einen beleidigen: wenigstens befreien sie einen so von dem Unglück, sie lieben zu müssen.«
    »Welche Stunde des Tages lieben Sie am meisten?« fragte er. Er hatte offenbar gar nicht gehört, was ich gesagt hatte.»Welche Stunde? Das weiß ich nicht. Den Sonnenuntergang habe ich nicht gern.«
    »Nein?« erwiderte er, anscheinend besonders interessiert, versank aber sogleich wieder in seine Gedanken.
    »Sie wollen wieder verreisen?« fragte ich.
    »Ja ... ich verreise.«
    »Bald?«
    »Ja.«
    »Brauchen Sie denn wirklich, um nach Wilna zu fahren, einen Revolver?« fragte ich ohne den geringsten Hintergedanken und ohne überhaupt etwas dabei zu denken. Ich fragte nur, weil der Revolver blitzte und ich nicht recht wußte, wovon ich reden sollte.
    Er wendete sich um und sah den Revolver starr an.
    »Nein, ich tue es nur so aus Gewohnheit.«
    »Wenn ich einen Revolver hätte, so würde ich ihn irgendwo verwahren und einschließen. Wissen Sie, so ein Ding hat wahrhaftig etwas Verführerisches! Ich glaube zwar nicht gerade an eine Selbstmordepidemie, aber wenn man so ein Ding immer vor Augen, hat – wirklich, es gibt Augenblicke, wo es einen verführen könnte.«
    »Lassen Sie dieses Thema!« sagte er und stand plötzlich vom Stuhl auf.
    »Ich rede dabei nicht von mir«, fügte ich, ebenfalls aufstehend, hinzu, »ich werde nie davon Gebrauch machen. Mir können Sie ein Leben von dreifacher Länge geben – es wird mir immer noch zu wenig sein.«
    »Leben Sie recht lange!« entfuhr es ihm anscheinend unwillkürlich.
    Er lächelte zerstreut und ging sonderbarerweise geradeswegs ins Vorzimmer, als wollte er mich hinausbegleiten, natürlich ohne zu bemerken, was er tat.
    »Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen bei allem, was Sie vorhaben, Krafft«, sagte ich, als ich bereits auf die Treppe hinaustrat.
    »Wollen's hoffen!« erwiderte er in festem Ton.
    »Auf Wiedersehen!«
    »Wollen auch das hoffen!«
    Ich erinnere mich an den letzten Blick, den er auf mich richtete.

III
     
    Also das war der Mensch, um den mein Herz so viele Jahre lang geklopft hatte? Und was hatte ich denn von Krafft erwartet? Was für neue Mitteilungen hatte ich mir von ihm versprochen?
    Als ich von Krafft herauskam, verspürte ich starken Hunger; es war schon gegen Abend, und ich hatte noch nicht zu Mittag gegessen. Ich ging, gleich dort auf der Petersburger Seite, auf dem Großen Prospekt in ein kleines Restaurant, um dort zwanzig oder höchstens fünfundzwanzig Kopeken auszugeben; eine größere Ausgabe hätte ich mir damals unter keinen Umständen gestattet. Ich ließ mir eine Suppe geben, und nachdem ich sie verzehrt hatte, setzte ich mich, wie ich mich erinnere, an ein Fenster und sah hinaus. Im Zimmer waren viele Menschen; es roch nach angebranntem Fett, Restaurationsservietten und Tabak. Es war widerlich. Über meinem Kopf pochte eine stimmlose Nachtigall trübsinnig und melancholisch mit dem Schnabel auf den Boden ihres Käfigs. In dem anstoßenden Billardzimmer wurde gelärmt; ich aber saß da und überließ mich meinen Gedanken. Der Sonnenuntergang (warum hatte sich Krafft nur darüber gewundert, daß ich den Sonnenuntergang nicht gern hatte?) erweckte in mir neue, unerwartete Empfindungen, die ganz und gar nicht zu dem Ort paßten. Mir schwebte immer der stille Blick meiner Mutter vor, ihre lieben Augen, die mich nun schon einen ganzen Monat lang so schüchtern ansahen. In der letzten Zeit war ich zu Hause recht grob gewesen, namentlich ihr gegenüber; eigentlich wollte ich zu Wersilow grob sein, aber da ich mich an ihn nicht herantraute, so peinigte ich nach meiner schlechten Gewohnheit meine Mutter. Ich hatte sie sogar ganz verängstigt; oft sah sie mich, wenn Andrej

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