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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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auf diese Idee noch einmal zurückzukommen; aber der Brief war in Andronikows Händen geblieben. Und nun starb dieser; Katerina Nikolajewna erinnerte sich sogleich an den Brief; sie sagte sich, wenn er unter den Papieren des Verstorbenen zum Vorschein käme und in die Hände des alten Fürsten gelangte, so würde dieser sie unzweifelhaft für immer aus dem Hause jagen, sie enterben und ihr auch bei seinen Lebzeiten keine Kopeke mehr geben. Der Gedanke, daß die eigene Tochter an seinem Verstand gezweifelt und sogar beabsichtigt hatte, ihn für irrsinnig erklären zu lassen, hätte dieses Lamm in ein wildes Tier verwandelt. Sie aber war als Witwe dank der Spielsucht ihres Mannes völlig mittellos zurückgeblieben und konnte einzig und allein auf ihren Vater rechnen: sie hoffte fest, von ihm eine neue Mitgift, ebenso groß wie die erste, zu erhalten.
    Krafft wußte über das Schicksal dieses Briefes nur sehr wenig, bemerkte aber, Andronikow habe »wichtige Papiere niemals vernichtet« und habe außerdem zwar einen weiten Blick, aber auch ein »weites Gewissen« gehabt. (Ich war ordentlich erstaunt darüber, daß Krafft bei aller Liebe und Hochachtung, die er gegen Andronikow empfunden hatte, doch so objektiv urteilte.) Aber Krafft war doch davon überzeugt, daß das kompromittierende Schriftstück infolge der nahen Beziehungen, in denen Wersilow zu der Witwe und den Töchtern Andronikows stand, in dessen Händegekommen sei; es war bereits bekannt, daß diese weiblichen Personen alle von dem Verstorbenen hinterlassenen Papiere sogleich bereitwilligst Wersilow zur Verfügung gestellt hatten. Krafft wußte ferner, daß auch Katerina Nikolajewna bereits vermutete, der Brief sei in Wersilows Händen, daß sie ebendeswegen in Angst war, da sie glaubte, Wersilow werde mit dem Briefe sogleich zum alten Fürsten gehen; daß sie nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland bereits in Petersburg Nachforschungen nach dem Briefe angestellt hatte, bei Andronikows gewesen war und jetzt ihre Nachforschungen fortsetzte, da sie immer noch eine Spur von Hoffnung hatte, daß der Brief vielleicht doch nicht in Wersilows Besitz sei, und endlich, daß sie einzig und allein in dieser Absicht nach Moskau gereist war und dort Marja Iwanowna dringend gebeten hatte, in den Papieren, die sie bei sich aufbewahrte, nachzusuchen. Von Marja Iwanownas Existenz und ihren Beziehungen zu dem verstorbenen Andronikow hatte sie erst ganz vor kurzem erfahren, erst nachdem sie nach Petersburg zurückgekehrt war.
    »Sie glauben, daß sie den Brief bei Marja Iwanowna nicht gefunden hat?« fragte ich und hatte dabei meine eigenen Gedanken.
    »Wenn Marja Iwanowna nicht einmal Ihnen etwas darüber mitgeteilt hat, dann hat sie ihn vielleicht auch gar nicht.«
    »Also nehmen Sie an, daß das Schriftstück sich in Wersilows Händen befindet?«
    »Das ist allerdings das wahrscheinlichste. Indes, ich weiß es nicht, möglich ist alles«, sagte er. Es war ihm anzusehen, daß er sehr ermüdet war.
    Ich richtete weiter keine Fragen an ihn, wozu auch? Die Hauptsache war mir jetzt klargeworden; trotz dieses ganzen schmählichen Wirrwarrs hatte alles, was ich befürchtete, seine Bestätigung gefunden.
    »Das alles ist wie ein Traum, wie Fieberphantasien«, sagte ich tieftraurig und griff nach meinem Hut.
    »Dieser Mensch ist Ihnen wohl sehr teuer?« fragte Krafft mit sichtlicher, großer Teilnahme, die ich in diesem Augenblick auf seinem Gesicht las.
    »Ich hatte es mir schon vorher gedacht«, sagte ich, »daßich auch von Ihnen nicht alles erfahren würde. Die einzige Hoffnung, die mir noch bleibt, ist Frau Achmakowa. Auf die hatte ich schon von vornherein gerechnet. Vielleicht gehe ich zu ihr, vielleicht auch nicht.«
    Krafft sah mich einigermaßen erstaunt an.
    »Leben Sie wohl, Krafft! Warum drängen Sie sich Leuten auf, die von Ihnen nichts wissen wollen? Ist es nicht das beste, den ganzen Verkehr abzubrechen, wie?«
    »Und wo soll man dann hin?« fragte er, finster zur Erde blickend.
    »Zu sich, zu sich! Den ganzen Verkehr abbrechen und zu sich gehen!«
    »Nach Amerika?«
    »Nach Amerika! Zu sich, nur zu sich! Darin besteht meine ganze Idee, Krafft!« sagte ich begeistert.
    Er sah mich neugierig an.
    »Haben Sie denn einen solchen Ort: ›zu sich‹?«
    »Jawohl. Auf Wiedersehen, Krafft; ich danke Ihnen und bedaure, Ihnen soviel Mühe gemacht zu haben! Ich würde an Ihrer Stelle, wenn ich selbst ein solches Rußland im Kopfe hätte, alle diese Menschen zum Teufel jagen: macht,

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