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Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
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hausväterische Manier, sondern ernsthaft, daß ich dadurch ganz von selbst aus der Gesellschaft ausscheide.
    Vor einigen Jahren las ich in den Zeitungen, daß auf einem Wolgadampfer ein Bettler gestorben sei, der in Lumpen ging, um Almosen bat und dort allgemein bekannt war. Nach seinem Tode fand man bei ihm, in seine Lumpen eingenäht, gegen dreitausend Rubel in Banknoten. Und neulich habe ich wieder von einem Bettler gelesen, einem Adligen, der in den Restaurationen umherging und dort den Gästen die hohle Hand hinhielt. Er wurde verhaftet, und man fand bei ihm ungefähr fünftausend Rubel. Daraus ergeben sich ohne weiteres zwei Schlußfolgerungen: erstens, daß Energie beim Sparen, selbst bei Beträgen von wenigen Kopeken, schließlich gewaltige Resultate erzielt (die Zeitdauer ist dabei bedeutungslos), und zweitens, daß selbst die kunstloseste Form des Erwerbs, wenn sie nur mit Ausdauer betrieben wird, mit mathematischer Sicherheit auf Erfolg rechnen kann.
    Und doch gibt es vielleicht sehr viele achtbare, kluge, enthaltsame Leute, die (trotz aller Mühe) es weder zu drei- noch zu fünftausend Rubeln bringen und die doch furchtbar gern eine solche Summe besitzen möchten. Woher kommt das? Die Antwort liegt auf der Hand: weil keiner von ihnen, mag er es auch noch so sehr wünschen, so viel Willensstärke besitzt, um zum Beispiel, wenn er auf keine andere Weise etwas erwerben kann, sogar Bettler zu werden, und weil keiner von ihnen, selbst wenn er Bettler geworden ist, energisch genug ist, um nicht gleich die ersten Kopeken, die er erhält, zur Beschaffung eines nicht unbedingt notwendigen Nahrungsmittels für sich oder für seine Familie auszugeben. Und doch muß man bei dieser Sparmethode, ich meine bei der Bettelei, um solche Summen zusammenzubringen, sich von weiter nichts als von Brot und Salz nähren; das ist wenigstens meine Meinung. So haben es sicherlich auch die oben erwähnten beiden Bettler gemacht, das heißt, sie haben nur Brotgegessen und fast unter freiem Himmel gelebt. Zweifellos hatten sie nicht die Absicht, Rothschilds zu werden: sie waren nur Harpagons oder Pljuschkins reinsten Wassers, weiter nichts; aber auch beim zielbewußten Gelderwerb, der in ganz anderer Form, aber mit der Absicht geführt wird, ein Rothschild zu werden, ist nicht weniger Willenskraft erforderlich, als sie diese beiden Bettler besaßen. Ein Hausvater kann eine solche Willenskraft nicht aufbringen. Die Kräfte sind auf der Welt von sehr verschiedener Stärke; ganz besonders gilt das von der Willenskraft. Es gibt eine Temperatur, bei der das Wasser zu sieden anfängt, und es gibt eine Temperatur, bei der das Eisen rotglühend wird.
    Das steht auf derselben Stufe wie das Klosterleben und die erstaunlichen Leistungen der Askese. Die treibende Kraft ist hierbei das Gefühl und nicht die Idee. Warum? Wozu? Ist es denn, kann man fragen, eine sittlich gute Handlungsweise und nicht vielmehr eine Ungeheuerlichkeit, lebenslänglich in einem groben Kittel zu gehen und Schwarzbrot zu essen und dabei eine solche Geldsumme mit sich herumzuschleppen? Auf diese Fragen will ich später zurückkommen; jetzt handelt es sich nur um die Möglichkeit, das Ziel zu erreichen.
    Als ich »meine Idee« erdachte (und ihr Wesen besteht gerade in der Rotglühhitze), da fing ich an, mich zu prüfen, ob ich wohl fähig wäre, ein Mönchsleben zu führen und Askese zu üben. In dieser Absicht genoß ich den ganzen ersten Monat lang nur Brot und Wasser. An Schwarzbrot hatte ich nicht mehr als zwei und ein halbes Pfund täglich nötig. Um dies durchzuführen, mußte ich den klugen Nikolai Semjonowitsch und die mir so wohlgesinnte Marja Iwanowna täuschen. Zur Kränkung der letzteren und zur Verwunderung des sehr zartfühlenden Nikolai Semjonowitsch bestand ich darauf, daß mir das Mittagessen auf mein Zimmer gebracht würde. Dort beseitigte ich es einfach: die Suppe goß ich aus dem Fenster in die Nesseln oder sonstwohin, und das Fleisch warf ich entweder durch das Fenster dem Hund hin, oder ich wickelte es in Papier, steckte es in die Tasche und trug es dann hinaus, und ebenso alles übrige. Da mir Brot zum Mittagessen viel weniger als zweieinhalbPfund gegeben wurde, kaufte ich mir für mein eigenes Geld heimlich Brot dazu. Ich hielt diesen ganzen Monat über aus und verdarb mir nur vielleicht ein wenig den Magen; im folgenden Monat aber fügte ich zu dem Brot noch die Suppe hinzu und morgens und abends je ein Glas Tee – und ich kann versichern, daß

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