Der Jüngling
Mensch wie Wersilow mit einer solchen Person wie meiner Mutter reden, sogar im Fall unbändiger Liebe? Liederliche Menschen haben mir gesagt, daß der Mann, wenn er mit einer Frau zusammenkommt, sehr oft völlig stillschweigend beginnt, was natürlich der Gipfel der Ungeheuerlichkeit und Ekelhaftigkeit ist; dennoch hätte Wersilow, auch wenn er es gewollt hätte, mit meiner Mutter wohl nicht anders anfangen können. Konnte er etwa damit beginnen, ihr Polinka Sachs zu erklären? Und überdies wird der Sinn der beiden wohl gar nicht auf die russische Literatur gerichtet gewesen sein; vielmehr haben sie nach seiner eigenen Mitteilung (er redete einmal etwas offener) sich in den Winkeln versteckt, einander auf den Treppenerwartet und sind wie Bälle mit roten Gesichtern auseinandergefahren, wenn jemand vorbeikam, und der »despotische Gutsbesitzer« hat vor der niedrigsten Scheuermagd gezittert, trotz all seiner Rechte den Leibeigenen gegenüber. Aber wenn das Verhältnis auch in der bei Gutsherren üblichen Art begonnen hatte, so gestaltete es sich doch nachher ganz anders, und es läßt sich dafür im Grunde keine Erklärung geben. Die Sache erscheint einem sogar immer dunkler. Schon allein die zeitliche Ausdehnung, die die Liebe der beiden gewonnen hat, bildet ein Rätsel, denn die erste Voraussetzung bei solchen Menschen wie Wersilow ist doch die, daß sie das betreffende Weib sofort wieder verlassen können, sobald das Ziel erreicht ist. Aber hier kam es anders. Mit einer hübschen, leichtfertigen Gutsmagd zu sündigen (aber meine Mutter war nicht leichtfertig), das war für einen liederlichen »jungen Hund« (und sie waren alle liederlich, alle ohne Ausnahme, sowohl die Fortschrittler als auch die Reaktionäre) nicht nur etwas Erlaubtes, sondern geradezu ein Ding der Notwendigkeit, besonders in Anbetracht seiner romantischen Stellung als junger Witwer und seines müßiggängerischen Lebens. Aber sich für das ganze Leben zu verlieben, das war denn doch ein starkes Stück. Daß er sie wirklich so lange geliebt hat, dafür kann ich mich nicht verbürgen, aber daß er sie sein ganzes Leben lang mit sich herumschleppte, ist sicher.
Ich habe zwar nach vielem gefragt, aber ich muß bemerken, daß ich eine Frage, die wichtigste, nicht gewagt habe, meiner Mutter geradezu vorzulegen, obwohl ich ihr im vorigen Jahre so nahe gekommen bin und überdies als plumper, undankbarer junger Hund, in der Meinung, meine Eltern hätten mir gegenüber eine Schuld auf sich geladen , mit ihr nicht die geringsten Umstände machte. Die Frage war folgende: wie hatte sie, die schon ein halbes Jahr lang verheiratet war und noch ganz, gleich einer kraftlosen Fliege, im Banne der Vorstellungen von der Heiligkeit der Ehe stand, sie, die ihren Makar Iwanowitsch wie einen Gott verehrte, wie hatte sie in ganzen vierzehn Tagen sich bis zu einer solchen Sünde verlieren können? Meine Mutter war ja doch kein liederliches Frauenzimmer! Vielmehr will ich jetzt gleich vorausschicken, daß man sich einereinere Seele, als sie auch nachher lebenslänglich gewesen ist, nur schwer vorstellen kann. Erklären kann man sich ihr Verhalten vielleicht damit, daß sie ohne Besinnung gehandelt hat, das heißt, nicht in dem Sinne, wie es heutzutage die Advokaten von ihren Mördern und Dieben behaupten, sondern unter der Einwirkung jenes starken Gefühls, das bei einer gewissen Herzenseinfalt des Opfers in verhängnisvoller, tragischer Weise zur Herrschaft gelangt. Wie kann man es wissen; vielleicht hat sie sich sterblich verliebt in... die Fasson seines Rockes, in seinen Pariser Scheitel, in seine französische Aussprache, obwohl sie von dieser Sprache keine Silbe verstand, in eine Romanze, die er zum Klavier sang, in irgend etwas, was sie noch nie gesehen und gehört hatte (und er hatte ein sehr schönes Äußeres), und sich dann gleichzeitig bis zur Bewußtlosigkeit in den ganzen Menschen verliebt mitsamt der Rockfasson und den Romanzen. Ich habe mir sagen lassen, daß das mit den Gutsmädchen zur Zeit der Leibeigenschaft manchmal vorgekommen ist, und gerade mit den anständigsten. Ich habe dafür Verständnis, und ein Schuft ist, wer das einzig aus der Leibeigenschaft und der »Unterwürfigkeit« erklären will! Also ist es doch möglich, daß dieser junge Mensch genug Verführerisches an sich hatte, um ein bis dahin so reines Wesen, und vor allen Dingen ein Wesen, das so ganz anders geartet war als er und aus einer ganz anderen Welt, einem ganz anderen Boden
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