Der Jüngling
Pawlowna, die in meinem Leben immer plötzlich wie auf dem Theater zu erscheinen pflegte; ich wurde in einem Wagen nach einem herrschaftlichen Haus gefahren und in eine prächtige Wohnung geführt. Sie logierten damals bei Frau Fanariotowa, Andrej Petrowitsch, in ihrem leerstehenden Hause, das sie früher einmal von Ihnen selbst gekauft hatte; sie selbst befand sich damals im Ausland. Ich hatte bis dahin immer nur Jacken getragen; jetzt bekam ich auf einmal einen hübschen kleinen blauen Rock und vorzügliche Wäsche. Tatjana Pawlowna war den ganzen Tag über eifrig mit mir beschäftigt und kaufte mir eine Menge Sachen; ich aber ging durch all die unbewohnten Zimmer und besah mich in allen Spiegeln. So kam es, daß ich am andern Morgen gegen neun Uhr bei meinem Umherwandern in der Wohnung auf einmal ganz zufällig zu Ihnen in Ihr Zimmer hineingeriet. Ich hatte Sie schon tags zuvor gesehen, als man mich eben hingebracht hatte, aber nur flüchtig auf der Treppe. Sie stiegen die Treppe hinunter, um sich in den Wagen zu setzen und irgendwohin zu fahren; Sie waren damals allein nach Moskau gekommen, nach einer außerordentlich langen Abwesenheit und nur auf kurze Zeit, so daß man sich um Sie von allen Seiten riß und Sie beinah gar nicht mehr im Hause wohnten. Als Sie mir und Tatjana Pawlowna begegneten, sagten Sie nur in gedehntem Ton ›Ah!‹ und blieben nicht einmal stehen.«
»Er schildert das alles mit besonderer Liebe«, bemerkte Wersilow, zu Tatjana Pawlowna gewendet; diese wandte sich ab und gab keine Antwort.
»Ich sehe Sie noch in Ihrer damaligen schönen, blühenden Erscheinung vor mir, als wäre es heute. Sie sind in diesen neun Jahren erstaunlich gealtert und haben sich sehr zu Ihrem Nachteil verändert, verzeihen Sie diese Offenherzigkeit; übrigens waren Sie damals auch schon siebenunddreißig, aber ich konnte mich an Ihnen gar nicht sattsehen: was hatten Sie für wundervolles Haar, fast ganz schwarz, mit einem glänzenden Schimmer, ohne die geringste Spur von Grau; der Schnurrbart und der Backenbart sahen aus, als hätte sie ein Juwelier gemacht, – ich kann mich nicht anders ausdrücken; das Gesicht war von einer matten Blässe, nicht von einer solchen kränklichen Blässe wie jetzt, sondern so, wie es jetzt bei Ihrer Tochter Anna Andrejewna der Fall ist, die ich vorhin die Ehre hatte kennenzulernen; dazu kamen noch die feurigen, dunklen Augen und die blitzenden Zähne, besonders wenn Sie lachten. Sie fingen nämlich, als ich eintrat, bei meinem Anblick an zu lachen; ich besaß damals nur wenig Urteilskraft, und Ihr Lachen machte mein Herz nur fröhlich. Sie trugen an diesem Morgen ein dunkelblaues Samtjackett, ein gesticktes solferinofarbenes Halstuch und ein prachtvolles Hemd mit Alençonspitzen, und Sie standen mit einem Heft in der Hand vor dem Spiegel und studierten sich Tschazkijs letzten Monolog ein und besonders seinen letzten Ausruf:
›Den Wagen, schnell den Wagen!‹«
»Ach mein Gott«, rief Wersilow, »da hat er ja recht! Ich hatte es damals trotz der kurzen Dauer meines Aufenthalts in Moskau wegen Schilejkos Erkrankung übernommen, bei Alexandra Petrowna Witowtowa auf ihrer Hausbühne den Tschazkij zu spielen!«
»Hatten Sie das wirklich vergessen?« fragte Tatjana Pawlowna lachend.
»Er hat mich wieder daran erinnert! Und ich muß gestehen, die paar Tage damals in Moskau sind vielleicht die glücklichste Zeit meines ganzen Lebens gewesen! Wir waren alle damals noch so jung ... und sahen alle der Zukunft mit heißer Erwartung entgegen ... Ich kam damals in Moskau unerwartet mit so vielen ... Aber fahre fort, mein Lieber, du hast diesmal sehr gut daran getan, daß du in deiner Erzählung so ausführlich warst ...«
»Ich stand da, sah Sie an und rief auf einmal: ›Ach, wie schön, der richtige Tschazkij!‹ Sie drehten sich schnell zu mir um und fragten: ›Weißt du denn schon etwas von Tschazkij?‹ und setzten sich auf das Sofa und machten sichin der heitersten Gemütsstimmung an Ihren Kaffee – ich hätte Sie küssen mögen. Und da erzählte ich Ihnen, daß bei Andronikows alle sehr viel läsen und die jungen Damen viele Gedichte auswendig könnten und aus ›Verstand schafft Leiden‹ ganze Szenen unter sich spielten und daß wir uns alle in der ganzen vorigen Woche abends Turgenjews ›Aufzeichnungen eines Jägers‹ zusammen vorgelesen hätten und daß ich am meisten die Krylowschen Fabeln liebte und viele davon auswendig könnte. Sie forderten mich auf, etwas zu
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