Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jüngling

Der Jüngling

Titel: Der Jüngling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovi Dostoevskij
Vom Netzwerk:
Weise gelingen zu entschlüpfen; ich mußte bis zum nächsten Tag, dem Sonntag, warten. Es traf sich gut, daß am Sonntag auch Touchard mit seiner Frau irgendwohin fuhr, so daß im ganzen Haus niemand zurückblieb als ich und Agafja. Ich wartete, wie ich mich erinnere, mit schrecklicher Ungeduld auf den Anbruch der Nacht; ich saß in unserm Saal am Fenster und blickte hinaus auf die staubige Straße mit den kleinen Holzhäusern und den spärlichen Passanten. Touchard wohnte in einer abgelegenen Gegend, und man konnte aus dem Fenster einen Schlagbaum sehen: ›Ob das wohl der richtige ist?‹ schoß es mir durch den Kopf. Die Sonne ging ganz rot unter; der Himmel sah so kalt aus, und ein scharfer Wind wirbelte, gerade wie heute, den Staub auf. Endlich war es ganz dunkel geworden; ich trat vor das Heiligenbild und begann zu beten, aber ganz schnell, denn ich hatte es sehr eilig; ich nahm mein Bündelchen und ging auf den Zehenspitzenunsere knarrende Treppe hinab, in großer Angst, Agafja könne mich von der Küche aus hören. Der Schlüssel steckte in der Tür, ich öffnete sie, und plötzlich lag die rabenschwarze Nacht vor mir wie ein endloses, von Gefahren erfülltes, unbekanntes Land, und der Wind riß mir beinahe die Mütze vom Kopfe. Ich trat einen Schritt hinaus; auf dem gegenüberliegenden Gehsteig ließ sich das heisere Gebrüll und Geschimpfe eines vorübergehenden Betrunkenen vernehmen; ich blieb stehen, blickte um mich und kehrte leise um, ging wieder leise nach oben, zog mich leise aus, tat mein Bündel beiseite und legte mich ins Bett mit dem Gesicht nach unten, ohne Tränen und ohne Gedanken, und von diesem selben Augenblick an begann ich zu denken, Andrej Petrowitsch! Von diesem selben Augenblick an, in dem ich mir bewußt wurde, daß ich nicht nur ein Lakai, sondern obendrein auch noch ein Feigling war, von diesem Augenblick an begann meine richtige, wirkliche Entwicklung!«
    »Und jetzt, von dieser Minute an, habe ich dich fürs ganze Leben durchschaut!« rief auf einmal Tatjana Pawlowna, von ihrem Platz aufspringend, und zwar so unerwartet, daß ich in keiner Weise darauf vorbereitet war. »Ja, du warst nicht nur damals ein Lakai, sondern du bist es auch jetzt noch; in dir steckt eine Lakaienseele! Andrej Petrowitsch hätte dich ja ebensogut zu einem Schuster in die Lehre geben können. Er hätte dir sogar eine Wohltat damit erwiesen, wenn er dich hätte ein Handwerk erlernen lassen! Wer hätte von ihm mehr für dich verlangen oder fordern können? Dein Vater Makar Iwanytsch hat ihn nicht nur gebeten, sondern beinahe von ihm gefordert, er möchte euch, seine Kinder, nicht aus den unteren Ständen herausheben. Nein, du weißt das nicht zu schätzen, daß er dich bis zur Universität gebracht hat und daß du durch ihn schöne Vorrechte erlangt hast. Nun sieh mal einer an, die andern Jungen haben ihn gehänselt, und da hat er geschworen, sich an der Menschheit zu rächen ... So ein unwürdiges Subjekt!«
    Ich muß gestehen, ich war durch diese heftigen Worte ganz überrascht. Ich stand auf und sah eine Weile vor mich hin, ohne zu wissen, was ich sagen sollte.
    »Da hat mir ja Tatjana Pawlowna wirklich etwas Neues gesagt«, wandte ich mich endlich in festem Ton an Wersilow, »ich bin offenbar wirklich in hohem Grade eine Lakaienseele. Denn nicht zufrieden damit, daß Wersilow mich nicht zu einem Schuster in die Lehre gegeben hat, habe ich mich nicht einmal durch die ›schönen Vorrechte‹ rühren lassen; ›nein‹, habe ich gesagt, ›gib mir den ganzen Wersilow, gib mir einen Vater!‹ ... Das ist's, was ich verlangt habe – wie sollte ich da nicht eine Lakaiennatur haben? Mama, es liegt mir schon seit acht Jahren schwer auf dem Gewissen, wie ich Sie damals empfangen habe, als Sie allein zu Touchard kamen, um mich zu besuchen, aber jetzt habe ich keine Zeit, davon zu reden; Tatjana Pawlowna wird mich nicht erzählen lassen. Lassen wir es bis morgen, Mama; vielleicht sehe ich Sie morgen noch, Tatjana Pawlowna! Nun, was sagen Sie dazu, daß ich sogar in so hohem Grade eine Lakaiennatur bin, daß ich es nicht einmal für zulässig halte, wenn jemand zu Lebzeiten seiner Frau noch eine andere heiraten will. Und das hätte ja doch Andrej Petrowitsch in Ems beinahe getan! Mama, wenn Sie nicht mehr bei einem Mann bleiben mögen, der es fertigbringt, morgen eine andere zu heiraten, so denken Sie daran, daß Sie einen Sohn haben, der Ihnen verspricht, Ihnen ein respektvoller Sohn zu sein, denken Sie daran und

Weitere Kostenlose Bücher