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Der Jukebox-Mann

Der Jukebox-Mann

Titel: Der Jukebox-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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verstand nicht, was sie damit meinte. Er fragte nicht nach. Vielleicht verstand er es doch.
    »Letzte Woche haben sie Mus gegen dies Fenster geworfen.« Sie nickte zu der Scheibe schräg vor Johnny.
    »Die? In dem Chevrolet?«
    »Ja«, nickte sie.
    »Das sind lauter Bauerntölpel, die vor der Stadt wohnen«, sagte er. »Ich fürchte, die wissen es nicht besser.«
    »Das macht keinen Unterschied«, sagte sie.
    »Wie meinen Sie das?«
    »Die sehen alle gleich aus. Die Jungen und die Autos.«
    »Aber manche sind bösartiger?«
    »Ja.« Sie hob zwei schwarze Würstchen an und ließ sie in eine unsichtbare Mülltonne fallen.
    »Ich kenne Sie nicht«, sagte er. »Sind Sie neu zugezogen?«
    »Im letzten Jahr«, sagte sie, »aus einer anderen Stadt.«
    »Aber in der Würstchenbude arbeiten Sie erst neuerdings?«
    »Seit zwei Wochen«, antwortete sie.
    »Und wie ist es?«
    »Mir gefällt es.«
    Johnny aß sein Mus mit einer Gabel.
    »Es ist mein erster Job«, sagte sie.
    »Ach?«
    »Vorher war ich zu Hause.«
    Er nickte.
    »Bei den Kindern. Aber jetzt sind sie größer.«
    Johnny nickte wieder.
    »Sie gehen zur Schule«, fuhr sie fort, »und sprechen besser Schwedisch als ich.«
    »Sie sprechen gut«, sagte er, »perfekt.«
    »Wir kommen aus Ungarn«, sagte sie.
    Er nickte ein drittes Mal. Ungarn. Er wusste, was in Ungarn zu der Zeit passiert war, als er manchmal nicht wusste, was ihm selbst passierte. Auf dem Hochland gab es Leute aus Ungarn, einige hier, einige da. So viel begriff er, dass es für sie immer noch ein neues Land war.
    »Die Würstchen schmecken in Ungarn besser«, sagte sie.
    »Dort werden sie mehr gewürzt.«
    »Haben Sie schon mal Isterband gegessen?«, fragte er.
    »Nein«, antwortete sie, »ist das eine Wurst?«
    »Eine Art Wurst«, antwortete er. »Die kommt von hier. Ein bisschen geräuchert und säuerlich. Die schmeckt besser als warme Würstchen.«
    »Komisch, dass ich noch nie davon gehört habe«, sagte sie.
    »Die könnten Sie hier verkaufen«, sagte er, » Isterband mit Brot.«
    »Ich werd mal den Besitzer fragen«, sagte sie.
    Jetzt kam der Chevy aus der anderen Richtung vorbei und Johnny hörte wieder das Gepfeife und lautes Lachen. Vielleicht rief einer der Idioten etwas, aber er verstand es nicht. Das Auto klang plötzlich, als würde es ebenfalls lachen. Ein bösartiges Auto.
    »Leckeres Mus«, sagte er nach einer Weile. Er nahm den letzten Happen und warf die Serviette in den Papierkorb rechts von der Luke. »Jetzt möchte ich Sie aber nicht weiter aufhalten. Sie wollen doch bestimmt nach Hause zu Ihrer Familie. Es ist ja schon spät.«
    »Die … wohnt nicht hier«, sagte sie.
    »Ach?«
    »Nein.«
    Das war alles. Er sah ihr an, dass sie nicht mehr sagen würde.
    »Dann also vielen Dank«, sagte er. Sie nickte mutlos. Eine Sekunde lang hatte er überlegt, ob er sie zu einer Tasse Kaffee einladen sollte, oder Tee, wenn sie jetzt schloss, aber es war nur ein Reflex gewesen, etwas, das genauso schnell gekommen war, wie es ging, etwas, das er vor drei, vier Jahren gesagt hätte, aber nicht jetzt. Er hatte sie nicht gefragt, wie sie hieß.
    Als er sich zehn Schritte entfernt hatte, drehte er sich um, und sie stand noch genauso da, als ob sie auf einen weiteren Kunden wartete. Für den würde es nur noch Brot zu essen geben, Brot und Senf. Unser täglich Brot und Senf, dachte er und überquerte die Bahngleise. Die Warnlampen vor dem Bahnhof blinkten gelb, ein grelles Licht. Die Stadt war jetzt still, es war kein Röhren von einem zehn Jahre alten Chevy Coupé zu hören, kein bösartiges Gepfeife. Die Bauerntölpel waren zu ihren Misthaufen zurückgekehrt.
     
    Er versuchte zu schlafen, aber der Zug war abgefahren, der Schlafzug. Das hatte einmal jemand an einem Abend kurz vor Ladenschluss in einem Lokal gesagt. Entweder ist man dabei im Schlafzug, oder es bleibt einem nichts anderes übrig, als wieder aufzustehen und etwas anderes zu tun.
    Johnny hatte schon viele dieser Züge verpasst, und auch diesmal verpasste er ihn. Er stand wieder auf und öffnete eine der beiden Kleiderschranktüren. In einem Bord hatte er einen Stapel Kataloge gesammelt, den er herunternahm und durchsah. Mit dem Katalog, den er gesucht hatte, ging er zum Küchentisch.
    Lennart war jetzt elf Jahre alt. Als er selbst elf gewesen war, hatte Wurlitzer das 700er-Modell herausgebracht. Das war neunzehnhundertvierzig gewesen. Der Weltkrieg hatte begonnen, aber im Kinderheim war davon kaum etwas zu merken. Nur das Essen wurde noch

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