Der Jukebox-Mann
atmen hören, oder waren es Geräusche in der Leitung?
»Wir werden wahrscheinlich umziehen«, sagte sie jetzt.
»Ach?«
»Die Leute reden«, fügte sie hinzu.
»Haben sie das nicht immer getan?«
»Du weißt, was ich meine, Johnny. Und für Lennart ist alles so … schrecklich. Er ist traurig. Seine Schulkameraden ärgern ihn jetzt noch mehr. Ich hatte gehofft, es würde sich legen, aber es ist schlimmer geworden.«
»Inwiefern?«
»Sie finden anscheinend, dass er sich verändert hat seit Bertils Verschwinden.«
»Wie verändert?«
»Ich weiß es nicht, Johnny.« Er hörte sie wieder atmen.
»Er hat sich ja gar nicht verändert. Er ist nur stiller geworden. Er sagt nicht mehr viel.«
»Das hab ich nicht gemerkt.«
»Wenn du mehr als ein paar Stunden mit ihm zusammen wärst, würdest du es merken«, sagte sie.
In ihren Worten war keine andere Botschaft versteckt, jedenfalls nahm er sie nicht wahr. Da war nur ein bekümmerter Tonfall.
»Was machst du heute Abend?«, fragte sie, ohne seine Antwort abzuwarten. Vielleicht war keine Antwort nötig. Sie hatte gar keine Frage gestellt.
»Tja … guck mir den Mond an«, sagte er. »Er ist blau, und es ist babyleicht, auf ihm zu landen. In vierzig Jahren kann man wahrscheinlich dort Urlaub machen.«
»Und was unternimmt man dann da so?«
»Tja … isst was Gutes, guckt sich einen Krater an und fliegt wieder nach Hause.«
»Vielleicht kann ich dort ein Café eröffnen«, sagte sie.
»Du willst also zum Mond ziehen?«
Er hörte sie wieder atmen, aber es kam keine Antwort.
»Es dauert wahrscheinlich noch ein paar Jahre, ehe die Raketen hin- und wieder zurückfliegen«, sagte er.
Sie sagte immer noch nichts.
»Elisabeth? Elisabeth?«
Jetzt hörte er ein anderes Geräusch.
»Elisabeth, was ist los?«
Sie schluchzte auf, ein schnelles Einatmen. Vielleicht der Versuch, kurz zu lachen.
»Ent… entschuldige, Johnny. Es ist nur so … ich weiß es nicht.«
»Woanders ist es immer besser.«
»Nein.«
»Es geht vorbei«, sagte er.
»Was geht vorbei?«
»Das mit Lennart, seinen Schulkameraden.«
»Aber bis dahin? Wie geht es ihm da?«
»Er ist ein prima Kerl, Elisabeth. Er ist auf Zack. Er schafft …«
»Ich weiß trotzdem nicht, wohin wir ziehen sollen«, unterbrach sie ihn. »Wir haben kein Geld, ein Umzug kostet und … ja, ich weiß ja nicht mal, ob ich einen Job kriege.« Sie sprach schnell, so schnell, dass er ihr kaum folgen konnte.
»Und Lennart muss zur Schule gehen, die fängt ja bald wieder an, und ich müsste erst eine Wohnung finden.«
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ganz ruhig, Elisabeth. Ganz ruhig. Nein, das konnte er nicht sagen, es würde ihr nicht helfen. Sie beherrschte die Kunst ruhig zu bleiben besser als er.
»Ich … ich könnte auch vor dem Markttag vorbeikommen«, sagte er. »Wenn du willst … dann können wir eingehender über die Pläne reden.«
»Hast du denn hier oben irgendwas zu erledigen?«, fragte sie.
»Da geht immer eine Box kaputt«, antwortete er.
»Soll ich darauf hoffen?«
»Hoff lieber, dass der Duett durchhält.«
»Wolltest du ihn nicht austauschen?«, fragte sie.
»Ich hätte das Gefühl, ihm Unrecht zu tun. Er hat so lange mit mir durchgehalten.«
»Aber die Karre hast du doch schon, seit du mit den Jukeboxen angefangen hast!«
»Ja.«
»Der Duett gehört zu dir.«
»Nee … eher zu dem, was ich tue. Zu den Boxen.«
»Besteht da ein Unterschied?«, fragte sie nach einigen Sekunden.
Ja. Das war eine gute Frage. Gab es einen Unterschied? Wer war Johnny Bergman ohne seine Boxen? Oder so: ohne dies Leben auf den Straßen zwischen Cafés und heruntergekommenen Tanzböden. Was sollte werden, wenn es vorbei war? Wer würde er werden? Ein gewöhnlicher Chauffeur? Niemals. Mechaniker in einer Fabrik oder Werkstatt? Nein. Handelsreisender mit Kurzwaren? Nein, das hatte er schon hinter sich. Das waren nicht die Straßen, auf denen er unterwegs sein wollte. Der Mann für alles auf dem Jahrmarkt? Eine der schwereren Nummern in der sensationellen Show vom Varieté de Paris? Nein, damit war er auch fertig. Mit dieser Art Showbusiness.
»Da ist ein Unterschied«, sagte er. »Ich hab was anderes im Kopf als Jukeboxen.«
»Ich weiß.«
»Mit denen ist es sowieso bald vorbei.«
»Sag doch nicht so was.«
Plötzlich wollte er nicht mehr darüber reden. Er wollte überhaupt nicht reden. Er war sehr müde, als wäre er siebenhundert Kilometer gefahren und eben erst nach Hause gekommen und hätte nicht
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