Der Jukebox-Mann
Handflächen hoch. »So soll’s sein.«
Johnny sah zur Jukebox, die stumm an der schmalen Wand stand. Sie hatte im Lauf der Jahre viel mitgemacht. Vielleicht war es jetzt Zeit zum Ausruhen, Zeit für die Pensionierung. Wie alle Jukeboxen war auch sie vom Boden bis zur Decke ständig in dicke Rauschwaden gehüllt, manchmal in stechende Essensdünste, wie in der Centrumbar. Die gefährliche Luft setzte dem feinen Mechanismus sehr zu. Johnny war immer wieder fasziniert, wie weit die Boxenhersteller mit ihren Erfindungen der Zeit voraus waren. Dass es für jede Bewegung, die in der Maschine ausgeführt werden musste, ein feines mechanisches Teil gab. Dass es trotz allem funktionierte, trotz der Einwirkungen durch Luft und Menschen. Es war ein Wunderwerk, die Jukeboxen waren Wunderwerke. Dass es möglich war, etwas so Kompliziertes und gleichzeitig so Schönes herzustellen. Die Jukebox war wie ein Cadillac im Lokal. Und die Jukeboxen waren tatsächlich mit dem Hintergedanken an die klassischen amerikanischen Markenwagen entwickelt worden, nicht nur was das Aussehen anging, sondern auch den Klang, es war das Autogeräusch, das vor allem die Wurlitzer zu etwas Besonderem machte, der kratzige Bass, die schweren, primitiven Töne von Musik, die man nirgendwo anders als in der Box oder in einem Auto hören konnte.
Sie waren allein im Café. Der Nachmittagshimmel war mit Wolken bedeckt. Johnny hatte auf dem Weg hierher einen Wind gespürt, der den nahenden Herbst ahnen ließ, der anders als im Sommer zwischen den Häusern pfiff. Die Straße war leer gewesen, ein Saab 92 hatte vor dem Farbladen gegenüber geparkt, aber Menschen waren nicht unterwegs gewesen. Der Wind hatte alle Geräusche übertönt.
Der Saab war Johnny irgendwie bekannt vorgekommen.
»Nur noch diesen Herbst«, sagte Johnny, »dann kannst du machen, was du willst.«
»Wie meinst du das?«, fragte Sven. »Nur noch diesen Herbst?«
»Es ist der letzte Herbst«, sagte Johnny und wandte sich zu Sven um. »Es ist der letzte Sommer. Oder es war der letzte Sommer.« Er zuckte mit den Schultern. »Dies ist die letzte Saison.«
»Wovon redest du, Bergman?« Sven sah aufrichtig erstaunt aus. Sein Mund hatte sich geöffnet und wieder geschlossen, bevor er zu reden anfing. »Willst du deinen Job aufgeben? Das kannst du doch nicht machen.«
»Wieso nicht?«
»Weil … weil … das ist dein Job.« Sven gestikulierte mit seiner großen knochigen Hand in Richtung Jukebox.
»Den hast du immer gemacht. Du bist der Job. Wer soll ihn erledigen, wenn nicht du, Bergman? Das … geht einfach nicht.«
»Niemand soll ihn machen«, sagte Johnny. »Es ist ein überflüssiger Job. Der wird bald nicht mehr gebraucht.«
»Ich muss mich wirklich bei dir entschuldigen, dass ich die Box einige Tage abgeschaltet habe, Bergman. Entschuldige. Hätte ich gewusst, dass du …«
»Das ist es nicht«, unterbrach Johnny ihn. »Es ist nur … ein weiteres Beispiel.«
»Wofür?«
»Dass eine neue Zeit anbricht.«
»Aber wir wollten doch noch hier sitzen, wenn wir Greise sind«, sagte Sven. »Wenn das einundzwanzigste Jahrhundert anbricht, wollten wir noch hier sitzen.«
»Ja?« Johnny sah, dass Sven den Mund öffnete und wieder schloss. Er wirkte älter, wenn er das tat, als wäre das neue Jahrhundert bereits angebrochen und Sven ein sehr alter Mann. »Das können wir ja trotzdem machen.«
»Das ist … nicht dasselbe«, sagte Sven.
»Nein.«
»Da hast du’s. Du weißt es selber. Es wäre doch blöd, mit den Jukeboxen aufzuhören, Bergman?«
»Es ist nicht meine Entscheidung«, sagte Johnny.
»Das verdammte Fernsehen ist schuld«, behauptete Sven.
»Man kann nicht alles aufs Fernsehen schieben.«
»Fernsehen und das dritte Programm im Radio«, sagte Sven. »Seit die angefangen haben, geht alles zum Teufel. Übrigens hat das schon mit dem zweiten angefangen.« Er stand plötzlich auf, der Stuhl fiel mit einem trockenen Geräusch auf den Boden. »Die … die drücken einfach einen ganzen Berufsstand weg. Das ist so beschissen.«
»Redest du von den Konditoren, Sven?«
»Ich rede in erster Linie von dir, Junge. Jukebox-Johnny.«
»Ich glaub nicht, dass man es einen Berufsstand nennen kann«, sagte Johnny.
»Wie zum Teufel soll man es denn sonst nennen? Die Jukeboxen können sich doch nicht selber warten, oder? Allein Platten austauschen? Selbst die Nadeln wechseln? Die sind doch wie Säuglinge, Mensch! Man braucht Fachleute, die sich um sie kümmern! Können Säuglinge sich
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