Der Jukebox-Mann
hastig angesehen hatte. Waren es die Sonnenreflexe? Die Schatten im Auto?
Er wollte ihr nicht folgen. Er schloss die Augen, öffnete sie wieder und der Amazon war verschwunden, obwohl die Straße nach links ziemlich lange geradeaus führte. Dort gab es keine Möglichkeiten abzubiegen, keine anderen Straßen oder Kreuzungen.
Die Autoskooter waren unverändert seit der Zeit, als er hier gearbeitet hatte. Sie brauchten immer noch frische Farbe, jetzt mehr denn je. Die Farbe war abgeschabt von Millionen Zusammenstößen auf der Bahn, die genauso lebensgefährlich durchhing wie damals.
»Ab wann kann man fahren?«, fragte Lennart.
Es war kein Personal in Sichtweite.
Der Jahrmarkt war auf einer Wiese errichtet worden, wo sonst Kühe weideten. Alles war genauso aufgebaut wie damals, als er Stangen und Bretter herumgeschleppt hatte. Gelangweilt hatte er sich nicht. Die Leute waren nett gewesen, verrückt, aber nett.
»Wo sind die denn alle?«, fragte Lennart.
Sie waren durch das Drehkreuz hineingegangen, das sich ohne Widerstand gedreht hatte. Das Kartenhäuschen war leer. Ein Plakat hing daran, auf dem stand, dass um neunzehn Uhr geöffnet wurde, also in knapp einer Stunde.
»Wahrscheinlich sammeln sie Kraft vor dem großen Publikumsansturm«, antwortete Johnny.
Er sah die drei Wohnwagen am hinteren Ende der Wiese. Zu seiner Zeit hatten sich die Jahrmarktsleute mit einigen Flaschen neben dem Sofa oder dem Bett erholt, Kraft getankt für einen langen Abend.
»Da ist das Varieté!«
Lennart zeigte auf eine Bühne, die zwei Meter über dem Erdboden aufragte, wie ein Balkon, vor einer Wand aus bemalten Latten, auf denen eine Botschaft stand, die heute wie damals dieselbe war: VARIETÉ DE PARIS – BERÜHMT IN ZWÖLF LÄNDERN! Seit damals waren also keine neuen Länder hinzugekommen. Oder Landstriche, denn um die ging es eigentlich. Die Buchstaben brauchten Farbe. Alles hier brauchte Farbe. Wie Skörds Nieten. Das waren Farben, die es bald nicht mehr geben würde. Er ging einige Schritte näher an die Bühne heran, die noch genauso lebensgefährlich wacklig wirkte wie früher. Die aufgemalten Bilder auf den Planken rund um die Bühne waren dieselben, der Zylinder, die Sterne und die Zauberpeitsche, die Abbildung einer griechischen Statue, das Bild vom Fakir, der einem panisch fliehenden Drachen Feuer nachspuckte. Mitten auf der Bühne war ein Mikrophonständer aufgebaut.
»Haben die auch einen Drachen?«, fragte Lennart, der neben ihm stand und die bemalten Wände betrachtete.
»Er war zu alt und musste aufhören«, sagte Johnny.
»Wie hieß er?«
»Lennart.«
Lennart kicherte. Plötzlich betrat ein Mann mit rotem Hemd und schwarzer Hose die Bühne.
In einer Stunde würde er ein Cape darüber tragen. Vielleicht auch einen sehr hohen Zylinder. Es war derselbe Mann wie damals.
Er schnippte gegen das Mikrophon, den Blick in die Ferne gerichtet. Die beiden dort unten schien er nicht zu sehen.
»HAL-LO, HAL-LO«, wiederholte er. »HAL-LO. DIES-IST-EIN-TEST-EIN-TEST. NIMM’S HEMDE WEG, NIMM’S HEMDE WEG, ES KOMMT EIN WARMER …«
»Greger!«
Der Mann trat an den Rand der Bühne und spähte hinunter.
»Greger! Hier!« Johnny hob die Hand. »Hier sind wir.«
Sie standen ganz allein auf dem Platz. Greger müsste sie eigentlich sehen.
»Was zum Teu… bist du das, Bergman?« Der Mann machte noch einen Schritt und stand schwankend dicht am Rand, als führe er eine Balancenummer vor. »Was machst du denn hier?«
»Euch besuchen.«
»Ich komm runter.« Greger wankte einen Schritt rückwärts. »Geh nicht weg.«
»Wer ist das?«, fragte Lennart, als die Figur außer Sichtweite war.
»Er ist der Conférencier des Varietés«, antwortete Johnny.
»Ihm gehört der ganze Jahrmarkt.« Johnny lächelte. »Conférencier ist der edelste Job hier.«
»Da kommt er«, sagte Lennart.
»Bergman!« Der Mann war sehr groß, einen halben Kopf größer als Johnny, mehr als einen Meter größer als Lennart. Er schlug Johnny auf die Schulter. »Bist du es wirklich, Bergman? Es ist bestimmt schon hundert Jahre her.«
»Zehn«, sagte Johnny. »Aber zuletzt haben wir uns vor drei Jahren gesehen. Hast du das vergessen, Greger?«
»Zehn, hundert, drei, ist doch alles dasselbe«, sagte Greger und sah Lennart an. »Ist das dein Sohn?«
»Nein. Das ist ein … Kumpel.«
Greger lachte. Johnny roch den Alkohol. Etwas anderes hatte er nicht erwartet. Greger hatte sich nicht verändert. Er sah immer noch aus wie jemand, dem es nicht
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