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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Augenblick still. Dann kam sie auf mich zugelaufen; ihre Absätze klapperten über den Kompass auf dem Fußboden. Ihr Gesichtsausdruck war plötzlich ernst.
    »Miranda, es tut
mir
leid«, sagte sie leise. »Ich war gedankenlos. Da plappere ich über T. J. und sollte doch wissen, dass du an jemand anderen denkst.«
    Ich hielt die Luft an. Sie
wusste
etwas über mich und Leo?
    »Du bist wegen Greg so zögerlich, stimmt’s?«, fuhr Mom fort und blickte mich aufmerksam an. »Es ist noch zu früh?«
    »Greg?«, erwiderte ich wie vom Blitz getroffen. Mein Herz pochte. Greg war wirklich der Letzte, den ich mit diesem ganzen Wirrwarr verknüpft sehen wollte.
    »Ich hab das bisher noch nicht angesprochen«, sagte Mom nickend, »weil ich weiß, dass du Zeit für dich selbst brauchst. Aber, sieh mal – ich wusste doch die ganze Zeit, dass Greg mehr war als ein Junge, dem du Physik-Nachhilfe gegeben hast. Und dann, als er plötzlich nicht mehr zu uns kam, tja, da war’s nicht so schwer sich auszurechnen, dass sich eure Wege getrennt hatten.«
    Ich legte eine Hand auf meine erhitzte Wange und spürte meine Kräfte zurückkehren. »Mom, ich möchte jetzt wirklichnicht darüber sprechen.«
Oder überhaupt.
Ich lief an meiner Mutter vorbei ins Wohnzimmer. »Sollten wir nicht die Veranda aufräumen?«, fügte ich hinzu.
    »Miranda, ich verstehe ja, dass das schmerzlich ist«, sagte Mom und folgte mir durch die Terrassentür auf die Veranda. Über uns donnerte es unheilverkündend. »Du wirst wahrscheinlich noch etwas für Greg empfinden, und deshalb …«
    »Ich empfinde nichts mehr für Greg«, unterbrach ich sie, wirbelte herum und blickte meine Mutter an. Es war die Wahrheit. Obwohl meine Gefühle im Hinblick auf die Geschehnisse etwas verzwickt, ja, sogar leicht beängstigend waren, vermisste ich Greg nicht. Ich sehnte mich nicht nach ihm.
    Nicht so
, durchfuhr es mich,
nicht so, wie ich mich nach Leo sehne.
    Ich wandte mich von Mom ab und blickte in die graue Landschaft hinaus. Wie immer beruhigte mich der Anblick des Meeres, und ich stellte mir das Leben vor, das sich unter den schiefergrauen Wellen tummeln mochte. Leo war seit Freitag jeden Tag ein paar Mal in meinen Gedanken aufgetaucht, doch jetzt konnte ich an nichts anderes mehr denken. Was tat er? Dachte er ebenfalls an mich?
    Hätte es ihm etwas ausgemacht, dass ich einen anderen Jungen geküsst hatte?
    Plötzlich wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich wusste, wen ich jetzt unbedingt sehen musste, damit die Dinge wieder einen Sinn bekamen. Ich war mir nicht sicher, ob ich ihn finden würde, musste es aber versuchen.
    »Ich mache einen Spaziergang«, sagte ich zu Mom, und ohne auf ihre Zustimmung zu warten, drehte ich mich um und lief die Verandatreppen hinunter.
    »Bist du verrückt, Miranda? Es fängt gleich an zu gießen!«
    »Ich bleib nicht lange«, rief ich über meine Schulter. Meine Stimme wurde vom Wind fast verschluckt. Ein gezackter Blitz teilte den Himmel.
    »Wieso rennst du bloß wieder weg?« Mom hastete mir über die Stufen nach. Auf dem Rasen blieb sie stehen.
    »Ich brauche etwas frische Luft«, erwiderte ich. »Und ich renne nicht weg.«
    Und das stimmte. Ich ging in gemäßigtem Tempo bis ans Ende des Glaucus Way.
    Dann, als ich wusste, dass Mom mich nicht mehr sehen konnte, rannte ich los.
    Ich rannte den gesamten Weg bis in die Innenstadt, wo die Fenster der Geschäfte mit rot-weiß-blauen Spruchbändern geschmückt waren, auf denen GENIESSEN SIE
    DEN UNABHÄNGIGKEITSTAG stand. Die Leute beeilten sich, unter Markisen und vorsorglich aufgespannten Regenschirmen Schutz zu suchen. Auf dem grünen Platz war von den Korbflechterinnen nichts mehr zu sehen. Moskitos schwirrten durch die Luft.
    Als ich die Promenade erreichte, spürte ich die ersten kalten Regentropfen auf meinen nackten Armen. Trotzdem rannte ich weiter über die Strandpromenade, am
Crabby Hook
und dem geschlossenen Meereskundezentrum vorbei. Irgendetwas schien mich anzutreiben, etwas, das ich weder benennen noch verstehen konnte.
    Als ich das Ende der Promenade erreicht hatte, trat ich auf den Sand hinaus und fragte mich, was ich hier eigentlich tat. Obwohl es erst fünf Uhr nachmittags war, sah der Himmel aus, als wäre es Mitternacht. Das Meer war wild, peitschte gegen den Strand, und die Sägepalmen schwankten im Wind. Der Strand war leer, jeder normale Menschbefand sich jetzt irgendwo drinnen. Vielleicht hatte Mom recht. Vielleicht hatte ich den Kopf verloren.
    Dann blickte ich ein

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