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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Unsere Herzen schlugen im selben Takt. Wir lachten beide, waren ausgelassen und durchgefroren. Leo senkte den Kopf und knabberte sanft an meinem Hals, was mir einen köstlichen Schauder bescherte.
    Während wir so eng aneinandergekuschelt dasaßen,gewöhnten sich meine Augen langsam an die Dunkelheit in unserer kleinen Höhle. Grauer Dunst drang durch die Felsritzen, und in einer der schattigen Ecken konnte ich etwas ausmachen, dass seltsamerweise wie ein ausrangiertes T-Shirt und eine Männer-Kapuzenjacke aussah. Ich blinzelte und stieß Leo an.
    »Gehören die Sachen irgendjemandem?«, flüsterte ich, als ob ich befürchten musste, irgendwen – oder irgendwas – aufzuwecken, was da vielleicht neben uns in der Grotte schlummerte.
    Ich spürte Leos sanfte Schaukelbewegungen, als er lachte. »Sie gehören mir. Manchmal ziehe ich mich hier um, bevor ich schwimmen gehe.«
    »Wirklich?« Ich blickte zu ihm auf. Seine Habseligkeiten in einer Grotte aufzubewahren, schien hier zu den grundlegenden Strandregeln zu gehören, ganz anders als in New York, wo die Leute immer so beschützend auf ihre Sachen achteten. »Hast du keine Angst, dass irgendwer …«
    »Pssst«, sagte Leo und berührte meine Unterlippe mit einem Finger. »Hörst du das?« Als ich den Kopf schüttelte, flüsterte er: »Der Regen hat aufgehört.«
    »Schon?«, fragte ich. Tatsächlich. Es klang, als wäre der Wind schwächer geworden. Die Regentropfen über uns prasselten nur noch leise.
    »Ein Sommersturm«, sagte Leo, während er die Linie meines Mundes mit dem Daumen nachzog. »Schnell und kraftvoll, und dann – ist es vorbei. So ist das auf Selkie.«
    Ich verspürte leichte Enttäuschung. »Ich wollte noch gar nicht, dass es vorbei ist«, maulte ich und grinste kläglich, wohl wissend, dass ich mich wie ein Kind anhörte.
    »Irgendwann regnet’s schon wieder«, versprach Leo und zeichnete mit seinen sanften, neckenden Fingern Musterauf die Innenseite meines Arms. Einen langen Augenblick sahen wir uns an.
    Ich beugte mich hinüber, um ihn zu küssen – ich konnte nicht widerstehen –, doch in dem Moment grummelte mein Magen. Laut. Peinlich berührt lachte ich und legte mir die Hände auf den Bauch. Noch nie zuvor hatte sich mein Körper so eigenwillig benommen.
    »Hungrig?«, fragte Leo und betrachtete mich mit solcher Zärtlichkeit, dass das peinliche Gefühl dahinschwand.
    »Fast verhungert«, gab ich zu. Mir fiel ein, dass ich die Blaubeertarte vorhin nicht angerührt hatte.
    »Ich auch«, sagte Leo. »Wollen wir irgendwo was essen? Wir können ja dann … später weitermachen.« Ein verschmitztes Glitzern trat in seine Augen, und ich verspürte einen Anflug von Vorfreude.
    Ich nickte. Leo nahm meine Hand und half mir auf. Ich sah zu, wie er das zerknitterte T-Shirt vom sandigen Boden aufhob und über den Kopf zog. Irgendwo tauchte der Gedanke auf, dass ich Mom anrufen und ihr sagen sollte, ich wäre zum Abendessen nicht da, doch ich verfolgte ihn nicht weiter. Ich hatte mein Handy erneut im Alten Seemann gelassen, und plötzlich wollte ich lieber mal versuchen,
kein
braves Mädchen zu sein.
    »Hier, zieh das an.« Leo reichte mir seine rote Kapuzenjacke. Ich steckte die Arme durch die weichen Ärmel und war ganz erregt von diesem warmen, sauberen Geruch – Leos Geruch. Ich zog mein nasses Haar unter der Kapuze hervor und ließ es lose über den Rücken herabhängen. Dann zwängten sich Leo und ich durch die Felsöffnung und ließen unser Versteck zurück.
    Der Strand war frisch und kühl, und ich nahm ein paar tiefe Atemzüge von der süßen, sauberen Luft. Der ruhigeOzean plätscherte gegen den Strand, und in den sandigen Vertiefungen standen kleine Pfützen. Der Himmel war wie eine Offenbarung – überall goldene und graue Streifen.
    »Schön, nicht?«, meinte Leo, und als ich zu ihm hinsah, blickte er mich auf eine Art an, die mein Herz einen Salto schlagen ließ.
    »Sehr schön«, erwiderte ich lächelnd. Automatisch wandte ich mich der Strandpromenade und den Lichtern des
Crabby Hook
zu, doch Leo zog an meiner Hand und machte mir ein Zeichen, in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Tiefer in den Nebel hinein.
    »Warte mal«, sagte ich und zog nun ihn an der Hand. »Die Restaurants sind da vorn.«
    Geringschätzig blickte Leo über die Promenade. »Du meinst die Sommer-Restaurants. Ich möchte mit dir woanders hingehen.«
    Ich empfand Faszination, doch gleichermaßen Bedenken. Ruhig blieb ich

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