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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hin.
    Ich war noch nicht bereit für das hier. Oder doch?
    Plötzlich fluteten all die Fragen, die ich zuvor abzublocken versucht hatte, durch meinen Kopf. Wer
war
dieser Junge, den ich da küsste? Welche Absichten hegte er? Wieso war ich bereit, spät abends sein leeres Haus zu betreten? Und was war mit mir, Miranda Merchant, passiert, dass ich mich so selbstvergessen verhielt?
    »Stopp!«, sagte ich, gegen Leos drängende Lippen sprechend. Abrupt brach ich den Kuss ab und trat einen Schritt zurück. »Ich kann nicht. Wir müssen aufhören. Ich weiß nicht mal, wer du
bist

    Leo ließ seine Hände sinken. Er atmete schnell aus und starrte mich an, seine vollen Lippen waren leicht geöffnet. »Wieso wirst du denn jetzt so panisch?«, fragte er und streckte den Arm aus. Ich trat noch einen Schritt zurück; es muss ausgesehen haben, als tanzten wir einen spannungsgeladenen Tango.
    »Ich glaube, wir … wir sind einfach zu schnell«, erwiderte ich. Es kam mir vor, als wäre ich den ganzen Abend unter Wasser gewesen, in einer Traumwelt, und käme schließlich wieder an die Oberfläche und atmete frische Luft.
    »Tut mir leid, Miranda, aber ich verstehe das nicht«, sagteLeo mit heiserer Stimme. Seine Augen waren groß. »Ich dachte, du würdest unsere Verbindung auch spüren. Als wir vorhin am Strand waren – und während unserer Meeresbewohnerexkursion neulich …«
    »Die du extra arrangiert hast«, fiel ich ihm ins Wort und verspürte einen leichten Anflug von Entrüstung. Über unseren Köpfen hörte ich einen Donner. »Sieh mal, ich hab rausgefunden, dass es an diesem Tag gar keinen offiziellen Strandspaziergang gab. Warum warst du nicht ehrlich zu mir?« Ich fasste in die Tasche meiner Caprihose, holte mein zusätzliches Haarband heraus, zog mein Haar hoch und machte einen strammen Pferdeschwanz.
    »Okay«, sagte Leo kleinlaut. Er ließ den Kopf hängen und kratzte seinen Nacken. »Ich hab den Strandspaziergang erfunden, damit ich einen Grund hatte, dich wiederzusehen. Ist das so schlimm?« Er sah mich mit einem schiefen Lächeln an. »Du kamst mir so schüchtern vor, als wir uns im Center unterhalten haben, und da dachte ich, das wäre eine gute Möglichkeit, mich mit dir zu verabreden.«
    »Dann gibst du zu, gelogen zu haben?« Ich erinnerte mich an den Rundgang im Research Center und wie Leo dabei das Neuronensymbol auf meinem T-Shirt betrachtet hatte. Oder hatte er mir etwa auf die Brüste gestarrt?
    Ich sah Leo an. Unter dem abendlichen Himmel schien er sich in irgendwen – irgendwas – anderes zu verwandeln. Einen Fremden. Einen von Hormonen verdummten Dorftypen, der glaubte, eine einsame junge Touristin überlisten zu können. Ich musste an T. J. denken, der sich niemals dazu verleiten ließe, ein Mädchen in sein Haus zu locken. T. J. Familie kannte meine Familie, er war in keiner Weise ein Fremder.
    »Ich wollte nur, dass wir uns besser kennenlernen«, sagteLeo, dessen hübsches Gesicht frustriert wirkte. »Wenn du jetzt mit mir reinkämst, dann könnten wir …«
    »Wofür hältst du mich?«, blaffte ich und spürte meine smarte großstädtische Gewandtheit endlich wieder zurückkehren. Ich dachte an Leos dunkelhaarige Verehrerinnen in ihren Bikini-Oberteilen. »Vielleicht fallen ja die anderen Mädchen auf der Insel auf diese Besser-kennenlernen
-
Ma sche herein«, fuhr ich fort. »Aber ich bin nicht so naiv.«
    Leo fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Welche anderen Mädchen?«, fragte er mit verwirrter Stimme. »Du weißt, dass ich nicht so bin.«
    »Offen gestanden weiß ich das nicht.« Ich starrte ihn an und spürte zu meinem Schrecken, wie sich meine Kehle zuschnürte.
Nein.
Ich könnte jetzt nicht, würde jetzt nicht zu heulen anfangen. »Ich habe absolut keinen Beweis …« Ich bemühte mich, meine Stimme ruhig zu halten. »… dass du weniger widerlich bist als die Mehrheit der männlichen Spezies.« Wissenschaftliche Ausdrücke zu verwenden, war oft ein Trick, meine Gefühle im Zaum zu halten.
    Leo runzelte die Stirn. »Du hältst mich also für einen miesen Typen?«
    Mein Brustkorb zog sich zusammen. Noch vor wenigen Augenblicken hatte ich romantische Pläne für uns zwei geschmiedet. Wie hatte alles plötzlich einen so schalen Geschmack bekommen können?
    »Vielleicht war es ein Fehler«, sagte ich. »Ich hätte nicht mit dir nach Fisherman’s Village gehen sollen.«
    Leos Gesichtsausdruck veränderte sich. Seine Lippen wurden zu einem dünnen Strich, und ein Muskel in der Wange

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