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Der Junge aus dem Meer - Roman

Der Junge aus dem Meer - Roman

Titel: Der Junge aus dem Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zuckte, während sich seine Augen in plötzlicher Erkenntnis verdunkelten. »Ein Fehler«, wiederholte er mechanisch.
    Ich konnte ihn nicht mehr anblicken, deshalb senkte ichden Kopf und studierte meine flachen Schuhe auf dem festgetretenen Sand.
    »Du musst nichts mehr sagen. Ich hab verstanden.« Er sog scharf die Luft ein. »Wieso nimmst du nicht die Abkürzung zurück zu eurem Haus und ich gehe zu meinem.« Es war keine Frage.
    Als ich aufblickte, sah ich Leo die ausgetretenen Verandastufen hochlaufen. Bevor er den Türknauf an seiner roten Haustür herumdrehte, hielt er inne und wandte sich zu mir. »Ich dachte, du wärst anders«, sagte er leise.
    »Das bin ich«, erwiderte ich und fing an zu zittern.
    »Ich auch«, entgegnete Leo. Für eine Sekunde kehrte sein liebenswertes kleines Lächeln zurück, bevor er die Tür öffnete und sie hinter sich zufallen ließ.
    Es fing wieder an zu regnen. Die Tropfen fielen langsam, klopften mir auf Wangen und Schienbeine. Ich bemerkte, dass ich immer noch Leos rote Kapuzenjacke trug, doch mein Stolz erlaubte mir nicht, ihm zu folgen, um sie ihm zurückzugeben. Stattdessen zog ich mir die Kapuze fest über den Kopf und wandte mich von Leos Haus ab.
    Durch den Sommer hervorgerufene Idiotie. Das war die Diagnose, entschied ich, während ich mich im strömenden Regen über den unbefestigten Weg kämpfte. Wenn Leute in die Ferien fuhren, warfen sie ihre gewöhnliche Haut ab und dachten, sie könnten andere Menschen werden. Leo war ein Zufallstreffer, eine Verirrung gewesen. Doch ich hatte mich rechtzeitig wieder gefangen. Es gab keine Veranlassung, dass wir beide uns wiedersahen.
    Jetzt musste ich nur noch ihn, unsere Küsse und unser Lachen komplett aus meinem Kopf verbannen. Und wenn es – neben den Naturwissenschaften – irgendetwas gab, das ich gut konnte, dann war es, Gedanken zu verdrängen.

KAPITEL 10
Geheimnisse
    D er Alte Seemann hob sich blass und majestätisch gegen die Dunkelheit ab – der sprichwörtliche Hafen im realen Sturm. Durch den Regen hastend und bis auf die Knochen durchnässt hatte ich nur zwei bescheidene Wünsche: dass die Haustür unverschlossen wäre und Mom sich entweder am Telefon oder schlafend im Bett befände, sodass ich mich unbemerkt hochschleichen konnte.
    Ich kletterte die Verandastufen hoch, und während der Regen auf den Rettungsring prasselte, drückte ich die Tür auf. Sie ließ sich ganz problemlos öffnen, wie ich ziemlich erleichtert feststellte.
    Unglücklicherweise stand Mom mitten in der Eingangshalle.
    »Wo bist du gewesen?«, fragte sie. Ihr Blick war hart.
    Sie trug noch immer ihr hübsches rosafarbenes Kleid, was völlig im Gegensatz zu ihrer wütenden Miene stand. Ihr Haar war feucht und sie trug schmutzige Flip-Flops; offenbar war sie draußen gewesen, um nach mir zu sehen. Das Haus stank nach angebranntem Reis. Hatte sie für uns beide gekocht? Schuldgefühle überkamen mich.
    Ich zog meine durchnässte Kapuze herunter und hörte, wie das Regenwasser von meinem Körper auf den Fußboden tropfte. So langsam bekam ich eine Vorstellung davon, wie schiffbrüchig ich aussehen musste.
    »Ich war mit CeeCee zusammen«, formte sich die Lüge in meinem Mund.
    Mom zog die Augenbrauen hoch. »Ach wirklich? Das ist ja komisch. Ich hab eben mit Delilah gesprochen und sie sagte, CeeCee habe heute Abend einen jungen Mann namens Bobby zu Besuch. Irgendwie muss es ihr entgangen sein, dass du auch da warst.«
    Ups,
dachte ich und schluckte.
So fühlt sich also richtiger Ärger an.
    »Und versuch bloß nicht mir weiszumachen, dass du mit T. J. zusammen warst«, fügte Mom hinzu. Bei der Erwähnung seines Namens zuckte ich unwillkürlich zusammen – er war der Letzte, an den ich heute Abend gedacht hätte. »Ich hab auch seinen Vater angerufen.«
    Das hast du ganz bestimmt,
dachte ich missmutig.
    »Ich bin am Strand spazieren gegangen«, entgegnete ich schließlich, redete dabei schnell und nahm die Treppe hinter Moms Schulter ins Visier. »Es fing an zu regnen, und dann bin ich in Fisherman’s Village gelandet.« Mit dumpf schlagendem Herzen überlegte ich fieberhaft, ob ich vielleicht einen Knutschfleck oder ein anderes verräterisches Zeichen am Hals hatte.
    »Allein?«, bohrte Mom nach und sah mich streng an.
    Als Wade auf der High School und ich in der Mittelstufe war, hatte er mir gegenüber geschworen, dass Mom übersinnliche Kräfte habe. Anscheinend hatte sie immer gewusst, mit wem er sein Ausgehverbot umgangen hatte. Damals

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