Der Junge aus dem Meer - Roman
war überall heiß.
Denk nicht an Leo,
befahl ich mir selbst.
»War es mit T. J. auch so?«, bohrte CeeCee und sah mich verschlagen an.
Bevor ich wahrheitsgemäß mit einem Nein antworten konnte, hatte ich die Lösung. Das war der Schlüssel! Wenn ich T. J. eine Chance gäbe, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf ihn richtete, dann würde Leo aus meinen Gedankenverschwinden. Vielleicht war ja die Party mit den Thronerben am Vierten Juli genau das, was ich brauchte. Und vielleicht könnte ich sogar mit T. J. über die Geschichte zwischen Mom und seinem Dad reden und herausfinden, welchen Einblick – wenn überhaupt – er in diese seltsame Sache hatte.
Ich sagte CeeCee, dass sie zum Feuerwerk mit mir rechnen könne. Sie küsste mich aufgeregt auf die Wange und nahm ihren Regenschirm aus dem Ständer.
»Wir treffen uns nach Sonnenuntergang am Hafen«, sagte sie, während sie die Tür öffnete. Ein Stoß kalter Luft wehte herein. »Aber du kannst auch gerne vorher zu mir kommen, um dir einen Lippenstift oder ein paar Klamotten auszuleihen … wenn du magst«, fügte sie vorsichtig hinzu und zog ihre Augenbrauen in die Höhe, bevor sie in den Regen hinausflitzte.
Ich schloss die Tür und zog CeeCees Angebot in Erwägung, während ich mir einen Fussel von meinem zerknitterten Tanktop zupfte. Es war unbestreitbar, dass ich beim Thema Style ein bisschen Hilfe gebrauchen konnte. Ich dachte an Isadoras Wandschrank. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Ihre Kleider. Der Koffer. Mein Herzschlag beschleunigte sich.
Ich wollte gerade die Treppe hochgehen, als ich Moms Handy im Arbeitszimmer trillern hörte. Ich blieb stehen, hielt den Atem an und wünschte, ich hätte nicht den unwiderstehlichen Drang empfunden, meine Mutter zu belauschen. Es konnten natürlich Tante Carol oder Onkel Jim sein. Aber ich war ziemlich sicher, dass Mr. Illingworth anrief.
»Guten Tag, Mr. Phelps«, hörte ich Mom trällern und ihr Südstaatenakzent meldete sich wieder zu Besuch an. »Ichbin so froh, dass Sie bei diesem Regen lieber nicht kommen möchten.«
Wer war Mr. Phelps? Ein weiterer Verlobter? Ich biss mir in die Lippen.
»Danke, dass Sie mir die Papiere zugemailt haben«, sagte Mom. »Ich wollte gerne den Marktwert des Hauses mit Ihnen erörtern. Der interessierte Käufer …«
In Ordnung.
Ich entspannte mich und kam mir albern vor. Mr. Phelps war der Notar, der sich mit dem Verkauf des Alten Seemanns befasste. An meinem ersten Abend hier hatte Mom seinen Namen beim Essen erwähnt.
»Ja«, fuhr Mom fort. »Ich habe viel darüber nachgedacht …« Sie senkte die Stimme, und so sehr ich mich auch anstrengte, ich konnte ihre Worte nicht länger verstehen.
Selbst die Luft im Alten Seemann schien mit lang verborgenen Geheimnissen getränkt zu sein. Plötzlich war ich mehr als zuvor daran interessiert, den Schlüssel zu Isadoras Koffer zu finden, um diesem welches Mysterium auch immer zu entlocken.
Ich überließ meine Mutter dem Geflüster im Arbeitszimmer und stieg die Treppen hinauf, um meine Suche zu beginnen.
KAPITEL 11
Spiegel
E s
gab keinen Schlüssel. So lautete die Schlussfolgerung, zu der ich am Nachmittag des Vierten Juli gelangte, als ich aus der Badewanne stieg. Ich stieß einen frustrierten Seufzer aus und wickelte mich in ein Handtuch.
Nur die von Mom belegten Räume auslassend hatte ich gestern jede Ecke und jeden Winkel des Alten Seemanns in der Hoffnung durchforstet, einen Schimmer verrosteten Goldes zu entdecken, und war von den Regalen in Isadoras Wandschrank bis zu den Schränkchen im Badezimmer vorgestoßen. Doch ich hatte nichts gefunden.
Aber wenigstens träumte ich jetzt von Schlüsseln und Koffern statt von Grotten und Küssen. Jetzt musste ich nur noch meine Zeit mit T. J. heute Abend genießen, und der unaufhörliche Wunsch, Leo wiederzusehen, würde komplett verschwinden.
Hoffte ich.
Als ich in mein Zimmer trottete, hörte ich, vom Jubel ungeduldiger Kinder begleitet, ein paar verfrühte Feuerwerksraketen über dem Glaucus Way explodieren. Während ich zu meiner Kommode hinüberlief, spürte ich schon die Vorfreude, die mich am Vierten Juli immer überkam.
Heute Morgen hatten Mom und ich einen kurzen, schweigsamen Spaziergang zum Feinschmeckermarkt unternommen und hatten die Stadt in Rot, Weiß und Blau geschmücktvorgefunden. Die Gerüche von gegrilltem Fleisch und den Holzspänen des Mesquite-Baums konkurrierten mit dem Duft der Blumen und des Salzwassers, und der sonnige Himmel war wie ein
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