Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
liefen rot an.
Untersteh dich, Brechreiz.
»Wir hoffen, ihr Mädchen habt am Valentinstag noch nichts vor«, sagte Mom.
»Februar?«, fragte ich. »In Maine ?«
Sie ignorierte den Kommentar und zeigte uns ihren Verlobungsring, der aussah, als hätte sie ihn aus einem Kaugummiautomaten gezogen. »Larry hat ihn bei einem reizenden kleinen Juwelier in Bar Harbor machen lassen. Ich hatte schon immer ein Faible für dunkle Saphire.«
Der Kellner kam mit unseren Cocktails.
Hätte ich bloß das Methadon genommen.
Der einzige Augenblick mit Mom allein war in der Damentoilette, wohin sie mir in der Flaute vor dem Nachtisch gefolgt war.
Ich hatte nicht den Mumm, sie vor der altjüngferlichen Toilettenfrau mit der Schürze auf Pierce anzusprechen, unter anderem, weil ich kein Bargeld für den Trinkgeldteller übrig hatte, wollte ich nicht zu Fuß nach Hause gehen.
»Wie findest du ihn?«, fragte Mom mit charmanten Fältchen um die Augen, als sie mich im Spiegel über den Waschbecken anstrahlte.
Ich halte den armen Kerl für einen Wurf ins Aus, für den sich kein Muskelzucken lohnt. Wir wissen beide, dass du ihn früher oder später sitzen lässt.
Die Toilettenfrau stellte für Mom den Wasserhahn an, dann reichte sie ihr ein frisches Seifenstück.
Hastig drehte ich mein Wasser selbst auf. Ich konnte Feudalismus nicht ausstehen, egal in welcher Form.
»Er wirkt sehr nett«, sagte ich. »Und er liegt dir offensichtlich zu Füßen.«
Meine Mutter hielt die tropfenden Hände hoch. Die schweigende Magd hüllte sie in ein gestärktes Piqué-Handtuch ein und drehte den Wasserhahn wieder zu. Es fehlte nur der Knicks.
Mom würde sich mies fühlen, wenn sie Larry abservierte. Denn er war wirklich ein netter Kerl, und eigentlich meinte sie es nie böse.
»Larry hat sich letzte Woche mit mir zusammengesetzt, um sein Portfolio durchzugehen«, sagte sie und besprühte sich die Handgelenke mit Joy aus der Hausflasche, »und mir zu zeigen, dass für euch Kinder immer gesorgt ist.«
»Das ist rührend, Mom.«
Nur schade, dass meine Mutter nicht hinter Geld her war.
Wahrscheinlich gibt sie ihm sogar den Klunker zurück.
Ich trocknete mir die Hände ab und sah ihr hinterher, als sie aus der Toilette schwebte.
Dann lächelte ich die alte Dame in der Schürze müde an, kramte meinen letzten Fünfer heraus und versuchte, ihn glatt zu streichen, bevor ich ihn zärtlich auf den kleinen weißen Teller legte.
Eine Stunde später waren wir wieder zu Hause, ohne unsere reifen Turteltauben.
»Im verdammten Maine?«, sagte Pagan. »Im verdammten Februar?«
»Ich will gar nicht daran denken«, sagte ich.
»Sie hat nicht mehr alle Tassen im Schrank«, sagte Pagan.
»Oha«, entgegnete ich, »das ist was ganz Neues.«
Pagan warf sich auf die Couch. »Die Frau ist von Sinnen.«
»Durchgeknallt«, sagte ich. »Völlig plemplem.«
Sue zog eine Schachtel 21-Club-Streichhölzer aus der Hosentasche und hielt sie hoch. »Vergesst den Shrimps-Cocktail. Wer raucht eine Wasserpfeife mit mir?«
Abends gegen elf rief Dean aus Texas an.
»Bist du gut angekommen?«, fragte ich.
»Kinderspiel, und die Leute von Chevron sind begeistert von meinem schicken Overall.«
»Wo wohnst du?«
»Holiday Inn draußen bei der Raffinerie«, sagte er. »Die King Leisure Suite.«
»Oh … schick, schick.«
»Das Bett ist viel zu groß ohne dich.«
»Hier auch.« Im Dunkeln klopfte ich auf das leere Kissen neben mir.
»Wie war das Mittagessen?«
»Mom will heiraten.«
»Schon wieder ? «
»Wer weiß«, sagte ich, »vielleicht sind aller guten Dinge vier.«
31
Als ich am Dienstagmorgen aus der U-Bahn kam, regnete es in Strömen. Der Himmel war grau und hing tief, und die Leute auf der Straße zogen den Kopf ein, um sich vor dem rußigen Nass zu schützen.
Der Herbst war da.
Skwareckis Statue erhob sich über mir: Ein dicklicher Angeber, der, während er knietief in nackten Frauenleichen stand, eine Art Tarzanwindel um die Lenden trug, um den Anstand zu wahren.
In der Rechten hielt er mit lockerem Griff ein Schwert, dessen Klinge lässig auf seiner Schulter balancierte. In der linken Hand hatte er einen Strang Haare, an dem wie eine Handtasche ein abgetrennter Frauenkopf baumelte.
Mit hochgezogenen Schultern hastete ich im schräg fallenden Regen an ihm vorbei. Nach der nächsten Kreuzung konnte ich die Betonklötze ausmachen, die Skwarecki beschrieben hatte. Vor dem Komplex stand eine weitere Skulptur, diese aus Stahl und um Lichtjahre moderner.
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