Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Zettel:
Wir sind bei Barney’s und ärgern die Neureichen. Dinner bei Sam Chinita’s?
xxx, S&P
Dean sah, dass die Wasserpfeife gestopft war, und griff nach dem Feuerzeug. Dann nahm er einen langen, blubbernden Zug und hielt sie mir hin.
»Nein danke«, sagte ich. »Ich bin einfach nur froh, dass wir dem gesellschaftlichen Gemetzel entkommen sind.«
»Ich muss zum Frisör«, sagte er, bevor er ausatmete. »Ich will die Texaner morgen nicht verängstigen.«
Ich klopfte auf meine Tasche. »Kein Problem. Ich lege mich mit meinem engen persönlichen Freund Adolf auf die Couch.«
Dean gab mir einen Kuss auf die Stirn. »Auf Wiedersehen, mein kleiner deutscher Hasenpfeffer.«
Ich machte mir einen Eiskaffee, verstieß Adolf und nahm stattdessen F. Scott mit auf die Couch. An der Stelle, wo Tom und Nick und die Clique durchs Tal der Asche fuhren, begann ich wegzudriften.
Ich fragte mich noch, ob der Ort zu Queens gehörte, zwischen East Egg und der Stadt, bevor ich endgültig einschlief, den Kopf auf meiner Tasche.
Das Rasseln der Türschlösser weckte mich. Meine aschfahlen Träume zerrannen und hinterließen die vage Erinnerung an Astrid als Besetzung für Jordan Baker, die mit träger Doppelzüngigkeit behauptete, sie habe ihr Handicap verbessert.
Sue und Pagan bretterten auf Rollerblades herein, machten eine halbe Drehung und rauschten rückwärts in die Sessel.
»Schönes Wochenende gehabt?«, fragte Pagan.
»Grauenhaft«, berichtete ich. »Gestern Abend haben sie uns versetzt, und sie haben mir das Percodan geklaut.«
»Typisch.« Sue griff nach der Wasserpfeife.
Sie stopfte den Pfeifenkopf und zündete ihn an, dann zeigte sie auf das herumliegende Buch.
»Was ist das für eine Scheiße?«, fragte sie mit gepresster Stimme, während sie nach dem Zug die Luft anhielt.
»Geschenk von Astrid«, sagte ich. »Unglaublich, oder?«
»Scheiß-Nazi-Schlampe.« Sie blies eine große blaue Wolke aus, die das Buch einhüllte.
Pagan griff nach der Pfeife. »Warum schenkt Astrid dir so was?«
»Keine Ahnung«, sagte ich. »Dean meint, vielleicht ein Hilferuf.«
»Das ist meine Hilfe«, erklärte Sue und zeigte Hitler den Finger.
»Ich weiß«, sagte ich. »Christoph ist mir auch nicht geheuer.«
»Dean will wirklich für den Typen arbeiten?«, fragte Pagan.
»Dean will arbeiten«, entgegnete ich. »Ich glaube, der Rest ist ihm egal.«
»Schöne Scheiße«, seufzte Sue. »Das heißt, solange die Schecks reinkommen, musst du Astrid in den Arsch kriechen.«
» Schließ die Augen und denk an England «, sagte Pagan.
»Arschkriechen ist nicht so schlimm«, sagte ich, »solange ich nur nie wieder in die scheiß Hamptons muss.«
»Ramen« , sagte Pagan und prostete uns mit der Wasserpfeife zu.
Wir hörten, wie die Wohnungstür aufging.
Sue lehnte sich in ihrem Sessel zurück und rief in die Diele: »Liebling, du bist zu Hause.«
Dean kam rein, mit dem kürzesten Haarschnitt, den ich je an ihm gesehen hatte.
»Mann«, sagte Sue, »du siehst aus wie ein verdammter Marinesoldat.«
Pagan salutierte und hielt ihm die Pfeife hin. »Semper high.«
29
Sam Chinita’s war ein klassischer amerikanischer Diner auf der Ninth Avenue, zumindest, was die Einrichtung anging. Abgenutzter Edelstahl und Linoleum, ein altmodisches, nüchternes Lokal, in dessen Schaufenster früher vermutlich in Neonbuchstaben amerikanische Klassiker wie Steaks und Koteletts gelockt hatten.
Jetzt standen chinesische und lateinamerikanische Gerichte auf der Speisekarte: Guandong meets Cuba. Es gab Frühlingsrollen und gebratene Bananen, süßsaure Suppe und Café con leche . Ich fragte mich immer, ob die alten Kellner mit den glänzenden schwarzen Tollen erfolgreich vor Mao geflohen waren, nur um festzustellen, dass es sich in Castros Havanna auch nicht besser leben ließ.
»Ich habe keine große Lust auf das Mittagessen morgen«, brummte ich über meinem Teller mit schwarzen Bohnen und gelbem Reis.
»Wegen Mom oder wegen ihrem neuen Beau?«, fragte Pagan.
»Wahrscheinlich wegen beiden.« Ich griff nach dem Teller mit den platanos maduros . »Das mit Pierce – ich muss sie zur Rede stellen, aber nicht vor irgendeinem geschniegelten Fremden, der ihr zufällig in die Fänge gegangen ist.«
»Vielleicht bringt sie ihn deswegen mit«, sagte Sue. »Als eine Art kugelsichere Weste für Familien-Showdowns.«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie weiß nicht, dass ich es weiß. Oder vielleicht denkt sie, ich wüsste es schon lange. Jedenfalls kann
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