Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Louise Bost und griff nach ihrem Mantel.
Wir bekamen eine Nische am Fenster bei einem Italiener auf der anderen Seite des Boulevards.
»Was war das?«, fragte ich, als ich über das rote Vinyl auf die Bank rutschte. »Ein Wasserrohrbruch?«
Skwarecki lachte.
»Eher ein Häftlingsrohrbruch«, sagte Louise Bost.
»Was heißt das?«, fragte ich.
Skwarecki griff nach der Speisekarte. »Das Stockwerk über der Staatsanwaltschaft ist mit dem Gefängnis verbunden. Die Wachen haben keine Lust, die Insassen zweimal rein- und rauszuführen, mit allem, was dazugehört. Also schließen sie einfach den Flur auf beiden Seiten ab, wenn es Verzögerungen gibt, und lassen die Häftlinge da drin schmoren.«
»Das heißt, fünfzig Typen sitzen fünf, sechs Stunden lang da rum«, erklärte die Staatsanwältin. »Und irgendwann müssen die mal.«
»Aber es gibt keine Klos«, ergänzte Skwarecki. »Es ist nur ein Flur.«
Ich starrte die beiden Frauen an. »Das war Pisse?«
Sie nickten.
»Die durch die verdammte Decke sickert?«
Louise Bost hielt den Daumen hoch. »Natürlich wissen die da oben genau, wen sie unter sich haben.«
»Oh Mann, ist das widerlich«, sagte ich.
Sie zuckte die Schultern. »Willkommen in unserer Welt.«
Skwarecki boxte mir spielerisch gegen die Schulter. »New York – man kann es nur lieben, oder?«
Nachdem wir unseren ersten Hunger gestillt hatten, stocherten wir auf den Tellern herum.
Skwarecki hatte Manicotti bestellt, Louise Bost einen Caesar Salad. Ich starrte auf meine überbackenen Auberginen und hoffte, mit genug roter Soße würde das Bild des Verbrecherurins verschwinden.
»Der erste Schritt auf dem Weg zum Prozess ist die Jury der Geschworenen«, erklärte Louise Bost. »Sobald der Termin steht, lasse ich Sie wissen, wann wir Ihre Aussage brauchen.«
»Werden Teddys Mutter und ihr Freund auch da sein?«, fragte ich.
»Nein, was sich dort abspielt, findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Weder die Angeklagten noch ihre Anwälte erfahren, was Sie ausgesagt haben, oder auch nur, dass Sie ausgesagt haben. Es gibt kein Kreuzverhör. Die einzigen Anwesenden außer Ihnen sind ich und die Geschworenen.«
»Und Sie wollen beide anklagen?«, fragte ich.
»Wir wollen den Lebensgefährten drankriegen«, sagte sie, »aber die Mutter war dabei und hat gesehen, was passiert ist. Sie hat nichts unternommen. Vor dem Gesetz macht sie das gleichermaßen verantwortlich für den Tod ihres Sohnes.«
»Sie war da?«, fragte ich.
»Als Teddy starb?«, fragte Louise Bost zurück. »Ja, sie war mit im Zimmer. Sie hat zugesehen.«
»Und sie hat nichts getan?«`
Skwarecki schüttelte den Kopf. »Wir haben auf Video, wie sie aussagt, sie habe keinen Finger gerührt.«
»Oh Gott«, sagte ich.
»Aber sie hat einen sehr guten Anwalt«, wandte Louise Bost ein. »Marty Hetzler. Er will, dass die Vorwürfe gegen sie fallen gelassen werden.«
Skwarecki nickte.
»Marty sitzt übrigens da drüben«, bemerkte Louise Bost. »An dem großen Tisch. Der schicke Kerl mit dem weißen Haar.«
Ich drehte mich um und sah mir den Typen an. Er trug eins dieser gestreiften Hemden mit weißem Kragen und weißen Manschetten und eine dicke goldene Krawattennadel, deren Gewicht fast seinen Krawattenknoten aufzog. Sein blauer Zweireiher war leicht tailliert, und die Revers waren so spitz, dass er einen Waffenschein gebraucht hätte.
Er fing gerade zu wiehern an, als hätte er den besten Witz der Welt gehört, warf den Kopf zurück, sodass ihm eine Locke seines dicken blauweißen Haars in die Stirn fiel.
Als er den Arm um die Schulter seines linken Tischnachbarn legte – offensichtlich in herzlicher Zuneigung –, zuckte ich zusammen. »Ach, du Scheiße.«
Skwarecki fragte: »Was, Sie kennen Marty?«
»Ich kenne Kyle«, sagte ich, »den Mann, der neben ihm sitzt.«
32
»Sie kennen Kyle West?«, fragte Louise Bost.
»Donnerwetter«, sagte ich. »Was macht er hier? Ich meine, er hat früher davon geredet, dass er Jura studieren wollte, aber so einen Zufall gibt es doch gar nicht. Arbeitet er mit Hetzler zusammen?«
»Kyle ist Staatsanwalt«, sagte Louise Bost.
»Hier bei Ihnen?«
Sie nickte.
»Gott sei Dank«, sagte ich. »Es wäre echt seltsam gewesen, wenn sich rausstellt, dass er auf der Seite von Teddys Mutter steht.«
Louise Bost sah Skwarecki an. »Er ist Ankläger in der Abteilung Special Victims, seit wann, seit zwei Jahren?«
»Ungefähr«, sagte Skwarecki.
»Was heißt Special Victims?«, fragte
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