Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
nicht.«
Skwarecki und ich betraten unseren Hof. Angespannt spähte sie in die dunklen Ecken, was mich kein bisschen beruhigte.
Irgendein fragwürdiger Graffiti-Künstler hatte die Backsteinwand neben der Haustür getaggt – die Farbe war noch nass und tropfte auf den Zement.
»Sie wohnen hier zu viert ?«, fragte Skwarecki, als wir in der Wohnung waren.
»Es gibt zwei Schlafzimmer«, erklärte ich.
»Was zahlen Sie, sechs-, siebenhundert?«
»Elfhundertfünfzig.«
»Da, wo ich wohne, kriegen Sie dafür ein ganzes Haus, wissen Sie das?«
»Genau das ist es mir wert, Skwarecki. Damit ich, wenn ich aus dem Fenster sehe, nicht Ihren traurigen Hintern sehen muss.«
Sie nahm mich in den Schwitzkasten und verstrubbelte mir das Haar. »Geben Sie es zu. Sie lieben meinen traurigen Hintern. Dafür würden Sie noch was draufzahlen.«
Ich knuffte sie mit dem Gips in die Rippen. »Reißen Sie sich zusammen.«
»Wehren Sie sich doch.«
»Kein Problem. Ich schreie ›Polizeigewalt‹ und kotze Ihnen auf die Jacke.«
Sie ließ mich los, und ich machte im Wohnzimmer das Licht an.
»Oh Gott«, stöhnte sie, als sie die gleißenden orangenWände anblinzelte. »Wer war ihr Innenarchitekt? Ray Charles?«
»Falls Sie mich ärgern wollen, um mich von der Angst abzulenken – es funktioniert nicht.«
»Bei der Wandfarbe? Da hätte ich auch Angst.«
»Vielleicht sollten Sie sich eine Waffe zulegen«, sagte Skwarecki.
Sie und Pagan verschränkten die Arme und sahen mich an.
Sue war in Vermont zum Skifahren. Dean war wieder mal in Houston.
»Was zum Teufel soll ich mit einer Knarre, Leute? Mein Schießarm ist eingegipst. Mein dritter verdammter Gips übrigens.«
»Könnte praktisch sein, wenn Sie angegriffen werden«, sagte Skwarecki. »Sie ziehen ihm mit dem Gips eins über.«
»Glauben Sie mir, auf die Idee bin ich heute Abend auch schon gekommen«, sagte ich. »Und sie war nicht sehr beruhigend, das kann ich Ihnen sagen.«
»Meinen Sie, es ist jemand hinter ihr her?«, fragte Pagan.
Skwarecki sah mich an. »Sie haben den Anruf entgegengenommen, Sie haben gehört, was er gesagt hat. Hat der Typ irgendwas erwähnt, woraus Sie schließen, dass er es ernst meint?«
»Er kannte meinen Namen , Skwarecki. Er wusste, wo ich arbeite.«
Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht irgendein Perverser. Bekommt ihr manchmal solche Anrufe – ein paar junge Frauen in der Telefonzentrale?«
»Letzten Juli wollte einer wissen, was für Unterwäsche ich trage«, sagte ich.
»Sagen Sie den Typen am Telefon je, wie Sie heißen«, fragte sie, »und kommen ein bisschen ins Quatschen?«
»Vielleicht. Ich weiß nicht.«
»Oder kann Ihre Kollegin ihm was gesteckt haben?«
»Yumiko?«, fragte ich. »Sie sagte, er hätte nach mir gefragt.«
»Schien er sonst noch was über Sie gewusst zu haben?«
»Außer dass mir der böse Wolf auf den Fersen ist? Nein.«
»Nichts, was mit dem Prozess oder mit dem Fall zu tun hat?«, fragte sie.
»Nein«, sagte ich. »Nichts, was beweist, dass die Sache was anderes als ein Streich war.«
Sie beugte sich vor, Ellbogen auf den Knien. »Sind Sie ganz sicher? Versuchen Sie, das Gespräch noch einmal im Kopf durchzuspielen.«
Ich versuchte, mich genau an den Anruf zu erinnern, aber mehr war da nicht. »Ich weiß nur, dass er mir eine Scheißangst eingejagt hat, Skwarecki. So sehr, dass ich Sie angerufen habe.«
»Ich habe auch eine Scheißangst«, sagte Pagan, »dabei habe ich gar nichts mit dem verdammten Prozess zu tun. Wir wissen nicht mal, ob es ein Streich war. Vielleicht klettert der böse Wolf in diesem Moment die Feuerleiter hoch.«
»Tut mir leid«, sagte ich.
»Du kannst nichts dafür«, sagte Pagan, »aber ich habe trotzdem Angst.«
»Ihr wisst, dass ich hinter euch stehe, oder?«, fragte Skwarecki.
»Ach, so wie neulich, als meine Schwester überfahren wurde?«, fragte Pagan.
»Hey!«, sagte ich. »Sie hat ihr Bestes gegeben.«
»Du hättest tot sein können, verdammt, Maddie«, entgegnete Pagan. »Und du weißt genau, dass es kein Unfall war. Das wissen wir alle, oder, Detective?«
»Woher hätte jemand wissen sollen, dass ich an dem Morgen zum Friedhof wollte?«, fragte ich. »Oder wie ich aussehe?«
»Bist du wenigstens heute mit deiner Aussage fertig geworden?Oder musst du morgen noch mal hin?«, fragte Pagan.
Skwarecki sagte nichts.
»Sie haben den Wagen nie gefunden, oder?«, fragte ich. »Ich dachte, Sie hätten ein paar Ziffern des Nummernschilds.«
»Hat nicht gereicht.
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