Der Junge, den niemand sah: Kriminalroman (German Edition)
Tippen wurde ich immer besser.
Es klingelte auf der anderen Leitung.
Yumiko verdrehte die Augen und ging ran. »The Catalog. Es tut mir leid, aber Sie rufen außerhalb der Dienstzeit an.«
Ich begann, die Bestellung abzuschließen. »Ja, Sir, mit Standardversand haben Sie es bis dahin garantiert. Mit dem roten Geschenkpapier.«
Yumiko drückte die Warteschleife.
»Irgendein unverschämtes Arschloch auf Leitung drei für dich«, sagte sie und legte ihren Hörer auf.
»Die Gesamtsumme beträgt 22,97, inklusive Versand«, sagte ich.
»Vergiss nicht, das Telefon abzustellen«, sagte Yumiko.
Sie griff nach ihrer Handtasche und ging.
»Natürlich, Sir«, sagte ich. »Gern geschehen.«
Draußen fiel hinter Yumiko die Tür zu.
Ich beendete die letzte Bestellung des Tages und drückte auf Leitung drei. »Madeline hier. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.«
Keine Antwort, aber ich hörte Geräusche im Hintergrund, also wusste ich, dass jemand dran war.
»Dean?«
Nichts.
Vielleicht hatte er den Hörer kurz beiseitegelegt, weil er dachte, er wäre noch in der Warteschleife. Ich wiederholte seinen Namen, lauter diesmal.
»Kein Grund zu schreien.« Die tiefe Stimme eines jungen Mannes.
»Hallo«, sagte ich. »Tut mir leid.«
»Schon gut.« Er lachte in sich hinein, locker, entspannt.
Niemand, den ich kannte.
»Macht die Arbeit heute Spaß, Madeline?«
»Wer ist da?«
»250, West 57th Street. Da arbeitest du doch, oder?«
Plötzlich wirkte das Büro sehr groß. Und sehr leer.
»Ganz allein«, sagte er. »Im zwölften Stock und so.«
Ich riss den Kopf herum und sah zum Fenster.
Genau, als würde er da im Luftschacht schweben.
»Wer zum Teufel spricht da?«
»Vielleicht solltest du lieber die Tür abschließen. Damit der böse Wolf nicht reinkommt.«
Im Hintergrund hörte ich ein leises Klopfen. Wie von einem Bleistift. »Albert?«
Klopf.
Aber konnten sie im Gefängnis einfach so telefonieren?
Klopf.
The Catalog hat eine 800-Nummer.
Klopf.
Zu still für den Knast.
Er lachte wieder in sich hinein, dann war die Leitung tot.
Mit zitternden Händen rief ich Skwarecki an.
»Sind Sie sicher, dass Ihnen da keiner einen beschissenen Streich gespielt hat?«
»Er kannte meinen Namen , Skwarecki. Er wusste, dass ich allein im Büro bin. Und auf welchem Stockwerk.«
Sie wurde ernst. »Haben Sie die Tür abgeschlossen?«
»Natürlich habe ich die Tür abgeschlossen. Ich bin doch nicht blöd.«
Ich erwähnte nicht, dass ich auch alle Fenster abgeschlossen hatte. Nur für den Fall, dass der böse Wolf die Kletterausrüstung dabeihatte. Oder einen Helikopter mit Strickleiter, mit der er sich in den Luftschacht abseilen konnte.
»Gibt es einen Sicherheitsdienst in Ihrem Gebäude?«, fragte Skwarecki, »jemanden, den Sie anrufen können?«
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich. Aber ich habe die Nummer nicht.«
»Na gut, dann bleiben Sie, wo Sie sind. Lassen Sie niemanden rein, bis ich komme, okay? Auch nicht Rotkäppchen oder seine Großmutter. Ich bin in fünfundzwanzig Minuten da.«
»Sie sind ein Engel, Skwarecki. Danke.«
Ich legte auf und saß zitternd da.
»Okay«, sagte ich zu dem leeren Raum. »Im schlimmsten Fall kann ich ihm den Gips über die Rübe ziehen.«
Der Gedanke war nicht sehr tröstlich.
Durch die Tür der Telefonzentrale sah ich in den Empfang. Beim Sprung hinaus, um die Tür abzuschließen, hatte ich solche Angst gehabt, dass mir immer noch schlecht davon war.
»Sei nicht so ein Angsthase, Madeline«, sagte ich laut. »Herrgott noch mal.«
Genau dreiundzwanzig Minuten später war Skwarecki da. Mein feiger Angsthasenpopo klebte immer noch am selben Stuhl, als sie draußen an die Tür hämmerte.
»Haben Sie die Nummer des Sicherheitsdienstes gefunden?«, fragte sie, als ich sie reinließ.
»Nein. Ich war zu beschäftigt zu überlegen, wie ich mir ein wolfssicheres Versteck unter dem Teppich buddeln könnte.«
»Memme«, sagte sie.
»Sie können mich mal. Bei der nächsten Bürgermeisterwahl wähle ich die Libertarians.«
»Was soll das heißen?«
»Die sind für Waffen und Drogen. Heute habe ich mir zum ersten Mal in meinem Leben beides zusammen gewünscht.«
»Na wunderbar. Dann hätte der Typ Ihnen mit der Uzi die Birne wegschießen können, statt Sie zu überfahren.«
»Nicht, wenn ich ihn zuerst gesehen hätte«, erwiderte ich.
»Machen Sie Witze?«
»Nein.«
Und dann beugte ich mich vor und kotzte in den Papierkorb.
»Versauen Sie sich den Gips
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