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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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mir, wenn ich so weitermachte, könnte ich mich auf einen Job als Kellner für den Rest meines Lebens verlassen. Ich hätte noch nie ein amerikanisches Baseballspiel gesehen, sagte ich zu Harry, ich ginge sehr gerne hin.
     »Gut«, sagte er. »Aber es ist kein Baseball, es ist Fußball. Mach dir keine Sorgen, Boytschik, das ist ein normaler Fehler, er hätte jedem passieren können.«
     Danach gewöhnte sich Harry an, so lange herumzutrödeln, bis die anderen Gäste weg waren. Dann sagte er, ich solle mir eine Tasse Kaffee einschenken und mir ein Stück Kuchen auf seine Rechnung nehmen und die Beine ein bißchen ausruhen. Man mußte kein Greenie sein und allein in einem Souterrainzimmer wohnen und auf die große Chance warten, um zu sehen, daß Harry Wolfe ein einsamer Mann war. Ich tat also, was er gesagt hatte, und dann unterhielten wir uns. Oder besser, Harry redete, und ich hörte zu. Harry war für mich das, was für Kellner und Taxifahrer, die sich die Zeit dafür nehmen konnten, die Abendschule war. Er war es, der mir beibrachte, daß die G. I. Bill of Rights es Kriegsveteranen ermöglichte, ein College zu besuchen und ein Geschäft anzufangen und, was das Beste war, Häuser zu kaufen oder, wie Harry es nannte, Hauseigentümer zu werden. Ich erfuhr von dem staatlichen Anreiz für Banken, Hypotheken mit einem niedrigen Zinssatz an Kriegsveteranen zu geben, und von der Zusage der Regierung, einen Teil der Schulden zu übernehmen, falls der Veteran seinen Verpflichtungen nicht nachkommen könne. Ich erfuhr von den Eigenheiten der Baugesetze, die Harry die Neigung eines Dachs oder die Dicke einer Wand vorschreiben konnten, und von der Eigennützigkeit der staatlichen Planungsbehörden, die sich mehr für verlockende steuerzahlende Körperschaften als für ehrliche Veteranen interessierten, die Schulen und Abwasserversorgung und andere kostspielige Dienstleistungen benötigten. Ich erfuhr mehr über die Levitts, die Harrys berufliche Idole waren und seine persönlichen Widersacher werden würden. Die Levitts, sagte Harry, seien Juden. Ich registrierte diese Information, reagierte aber nicht darauf. Und das Wichtigste von allem, ich lernte, wie dank dieser Regierungsprogramme die Banken Bauherren Fertigungsvorschüsse anboten, so daß jemand wie Harry – sogar jemand wie ich, fügte Harry als Wink hinzu – kein großes Vermögen brauchte, um ins Geschäft zu kommen.
     Allmählich wurde das Wort wenn zum festen Bestandteil von Harrys Sicherheit, und dann ersetzte das falls das wenn. Es war nicht das aufschlußreiche wenn einer vergangenen Erfahrung, an das sich die D. P.s wie Kletten geklammert hatten, sondern das bedauernde wenn einer verpaßten Gelegenheit. Die Banken würden ihn hinhalten, sagte er. Die Planungsbehörden würden ihm keine Zeit lassen. Jedesmal, wenn er die Architekturplane oder Spezifikationen geändert hatte, um einem Gesetz zu entsprechen, kam irgendein Schweinehund mit einer anderen Vorschrift an, von der er noch nie gehört hatte.
     »Da fragt man sich, wofür wir einen Krieg geführt haben«, sagte Harry eines Abends, als wir die Fulton Street entlanggingen. Der Wind blies scharf und schneidend vom East River her. Eisengitter rasselten vor den Fenstern und geschlossenen Geschäften. Ein ausgemergelter Weihnachtsbaum wuchs aus einer metallenen Mülltonne.
     »Was meinst du damit?«
     »Ich meine, wir haben Millionen Jungs hinübergeschickt, um Hitler zu schlagen, aber niemand rührt einen Finger, um ihn zu Hause zu bekämpfen.«
     »Ihn?«
     »Den Antisemitismus, Boytschik. Judenhaß. Judenhetze. Juden brauchen sich nicht zu bewerben, keine Hunde und Juden, werft diese verdammten jüdischen Christusmörder raus.«
     »Und was ist mit den Levitts? Sie haben Darlehen bekommen. Sie haben die Zustimmung der Planungsbehörde bekommen.« Ich versuchte gleichgültig zu klingen, wie ein Mann, der gegen jede Ungerechtigkeit ist, nicht wie ein Opfer mit einem begründeten Interesse.
     »Das gerade ist das Problem. Die Levitts haben die Hälfte aller Kartoffelfarmen auf Long Island gekauft. Ich möchte zwanzig, dreißig Häuser bauen. Sie sprechen von zwei- oder dreitausend. Vielleicht mehr.«
     Harry unterschätzte seine Helden an jenem Abend. Ihre erste Anlage umfaßte mehr als siebzehntausend Wohneinheiten. Das hätte ich Dr. Gabor erzählen sollen, dann würde er nicht mehr solchen Respekt vor meiner Leistung haben. Aber ich hatte nicht die Absicht, ihm von meiner Vereinbarung mit Harry

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