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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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zu erzählen. Noch nicht einmal meine Frau wußte den wahren Grund, warum wir uns zusammengetan haben.
     »Der Punkt ist«, fuhr Harry fort, »die Levitts machen es schwerer für jemanden wie mich. Die Leute schauen sie an und sagen: ›Oho, die Juden übernehmen die Bauindustrie.‹, ›Paßt auf, die Itzigs kaufen die ganze Region auf.‹ Und dann blocken sie einfach ab.«
     Wir gingen noch ein, zwei Straßen weiter. Ich fragte, ob er sicher sei, sich das nicht nur einzubilden. Er sagte, er wisse genau, wann ihm jemand auf den Kopf schlage. Ich fragte nach den vierzigtausend Quadratmetern in New Jersey, für die er eine Option hatte. Er beschrieb mir noch einmal die Lage. Ich erkundigte mich wieder nach Details, obwohl ich sie alle auswendig kannte. Doch während der ganzen Zeit, in der ich ihn ausfragte, kämpfte ich innerlich mit mir selbst. Ich konnte es nicht tun. Ich hatte kein Recht dazu. Aber andere Leute taten es auch.
      Die Herren aus Frankfurt kommen.
      Kugler wird mit ihnen sprechen müssen.
    Kugler ist ihnen nicht gewachsen.
      Kugler ist alles, was wir haben. Es ist jetzt ein arisches Geschäft, denk dran.
     Nein, ich konnte es nicht tun. Es wäre falsch.
     Wir blieben an der Straßenecke stehen und warteten, daß die Ampel grün würde. Ein weiterer Christbaum ragte aus einer weiteren Mülltonne. Silberfäden klammerten sich an den Zweigen fest wie an einen letzten Strohhalm.
     Andererseits würde ich niemandem damit wehtun. Ich würde Harry einen Dienst erweisen. Ich würde für mehr Gerechtigkeit kämpfen. Und für die Juden. Oder für einen Juden. Zumindest würde ich die Hindernisse, die ihm in den Weg gelegt wurden, ausräumen. Je mehr ich darüber nachdachte, um so richtiger schien es mir zu sein. Je mehr ich den Plan in meinem Kopf hin- und herwendete, um so klarer wurde mir, daß er narrensicher war. Wir gingen weiter, Harry gebückt unter der Last seiner Sorgen, ich neben ihm, auf einem weißen Pferd galoppierend, mit einer im Winterwind rasselnden Rüstung.
     »Vielleicht kann ich dir helfen«, sagte ich.
     Er blieb stehen, als ich anfing, ihm den Plan zu erklären. Ich war überrascht, daß ich mich an den Plan erinnerte, den mein Vater und Herr Frank mit den Angestellten ausgearbeitet hatten. So viel anderes hatte ich vergessen. Harry würde eine Aktiengesellschaft gründen, und ich würde einige Aktien mit dem Geld kaufen, das ich schon gespart hatte. Und die V&WConstruction – V für van Pels und W für Wolfe – würde einen nichtjüdischen Partner haben, mich nämlich, der nach außen hin sichtbar wäre, und einen jüdischen, Harry, der, falls nötig, in den Hintergrund treten könnte.
     »Ein Scheißkerl werde ich sein«, wiederholte er immer wieder, als wir im schwachen Neonlicht der Hebrew National Frankfurter standen. »Ich wäre blöd, wenn ich das nicht machen würde.«
     Eine halbe Stunde später, als wir an einem schmierigen Tisch in einem der Nachtrestaurants saßen, sagte er: »Du hättest mich fast getäuscht.« Im Licht der Deckenlampe sah sein stoppeliges Kinn entzündet aus, sein Blick war vorsichtig. Wer konnte ihm einen Vorwurf machen? Ein Mann gibt nicht einfach die Hälfte seines Traums hinweg, ohne noch einmal darüber nachzudenken. Doch ich hatte mir den Plan gründlich überlegt, er konnte unmöglich eine Schwachstelle finden.
     »Womit getäuscht?« fragte ich. »Damit, daß ein Greenie mit einem solchen Plan herausrückt?« Das Wort kam mir nun, da es zu meiner Vergangenheit gehörte, leicht über die Lippen.
     »Nein, ich habe schon immer gewußt, daß du ein schlaues Kerlchen bist. Vielleicht habe ich deshalb gedacht, du wärst ein Jude. Ich habe gedacht, du hättest deinen Namen geändert, aber ich glaube, ich hätte es wissen müssen. Es ist eine Sache, von einem Moscowitz zu einem Miller zu werden, aber van Pels ist zu protzig. Man kann sein neues Leben nicht mit Rabinowitz beginnen wollen, aber dann wird man doch nicht gleich ein Roosevelt. Nicht daß es einen Unterschied macht. Für mich, meine ich.«
     Für ihn machte es keinen Unterschied, aber plötzlich gab es keine jüdischen Witze mehr. »Und der mit den drei Rabbis in einem Hurenhaus…« Es gab keine Anspielungen mehr. »Wenn dieser Kerl glaubt, er kann mich reinlegen wie ein Jude…« Es gab keine Angebereien mehr wie: »Du hättest sehen sollen, wie ich diesen Kerl niedergejudet habe.« Er mochte mich immer noch. Er vertraute mir. Aber er verhielt sich mir gegenüber weniger

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