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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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Anwesenheit alle anderen vergaß.
     Ich drehte mich von ihr zu Madeleine, die den Kopf schüttelte, weil sie sich über sich selbst ärgerte. »Mein ganzes Leben lang habe ich G Apostroph Doppel-T gelesen und mich noch nicht mal darüber gewundert. Sogar nach dem Kurs Anthropologie für Erstsemestler habe ich nicht darüber nachgedacht. Aber jetzt hast du mir gezeigt, wie absurd das ist.«
     Es tat mir leid, daß ich überhaupt etwas gesagt hatte. Susannah konnte von mir aus Gott rückwärts oder von oben nach unten schreiben. Orthographie war es nicht, was mich interessierte.
     »Was hat Anthropologie für Erstsemestler damit zu tun?« fragte Susannah.
     »Erklär es ihr, Peter.«
     Ich hätte es Susannah nicht zu erklären brauchen. Sie wußte, was ihre Schwester und ich gemeint hatten. Aberglauben und primitive Rituale und Götzenbilder. Die Wörter, die in der Luft hingen und darauf warteten, gepflückt zu werden, erschreckten Susannah und faszinierten Madeleine. Die Tatsache, daß ich sie einfach aussprach, ließ sie erschauern.
     Das war der Grund, warum sie sich jetzt nicht gegen die Blumen gewehrt hatte, die ich brachte. Vergangene Nacht war sie aus dem Schlafzimmer gekommen und über einen Ehemann gestolpert, dessen Universum auf die Größe eines kleinen Safes in der Wand zusammengeschrumpft war. An diesem Abend hatte sie einen Brief geöffnet und einen jungen Mann wiederentdeckt, der ihr eine größere Welt versprochen und mit ihr gedroht hatte. Die Erinnerung daran mußte noch immer ein großes Staunen in sich tragen, denn als sie auf dem Weg zum Wohnzimmer, wo sie die Vase mit den Rosen in die Fensternische stellen wollte, an mir vorbeikam, reckte sie sich auf die Fußspitzen und gab mir einen Kuß. Als Dank oder vielleicht auch ohne Grund.

    Ich hatte recht daran getan, Madeleine an dem Tag, nachdem sie mich mit Abigail beim Geldzählen erwischt hatte, Blumen mitzubringen, aber eine Woche später kam ich mit leeren Händen nach Hause. Diesmal hatte sie mir auch nicht gesagt, ich solle nichts mitbringen, das hatte ich von allein gewußt.
     Die Mädchen waren nie in Gefahr gewesen, egal, was sie sagte, obwohl ich sie nicht hätte allein im Auto zurücklassen sollen. Aber wenn ich bei Korvetts hineinsprang, um die Filmrolle abzugeben, würde ich in drei Minuten zurücksein, und mit ihnen im Schlepptau würde es mindestens eine halbe Stunde dauern. Betsy würde versuchen, mich zu dem Gang mit den Plastikspielsachen zu ziehen, und Abigail würde vor jedem billigen Schmuckstück stehenbleiben und es begierig anstarren. Da war es einfacher, schnell hineinzuspringen, den Film abzugeben und gleich wieder zurückzusein. Schließlich waren sie keine kleinen Kinder mehr, und es war am hellichten Tag.
     Ich fand einen freien Platz zwei Reihen entfernt vom Eingang, sagte ihnen, ich wäre gleich wieder da, verließ das Auto und lief über den Parkplatz. Drinnen ging ich sofort zur Filmabteilung. Es gab keine anderen Kunden an der Theke, und ich war schon wieder an der Tür, als es mir bewußt wurde. Ich blieb nur einen Moment stehen, um einer Frau mit zwei kleinen Kindern die Tür aufzuhalten. Was hätte ich sonst tun sollen?
     Der weitere Verlauf der Geschichte ist so albern, daß ich mich schäme, daran zu denken. Es war wirklich ein komisches Theater. So etwas, wie es Dussel, dem Hanswurst, hätte passieren können, wenn die Autoren ihn in eine amerikanische Vorstadt versetzt hätten. Dussel würde den Verstand verlieren auf diesem riesigen Parkplatz des neuen E. J. Korvett, das Publikum würde lachen, und alles würde so ausgehen, wie es tatsächlich ausging. Aber ich bin kein Dummkopf wie Dussel, und ich hätte an diesem Nachmittag nicht den Verstand verloren, wenn es nicht wegen der Mädchen gewesen wäre. Madeleine hatte unrecht, wenn sie mich beschuldigte, unverantwortlich zu sein. Sie hatte ein noch stärkeres Wort als das benutzt, aber sie hatte sich aufgeregt und wußte nicht, was sie sagte. Wenn ich wegen der Mädchen nicht krank vor Sorge gewesen wäre, als ich das Auto nicht fand, wäre der Rest auch nicht passiert.
     Ich lief über den Parkplatz. Das muß man der Firma lassen, es waren nicht nur die Rabatte, die sie bot, es war auch die Bequemlichkeit. Es muß dort Platz für achthundert Autos gegeben haben, vielleicht sogar für tausend. Ich lief die Reihe entlang und hielt Ausschau nach meinem Cadillac, zu dem Harry mich endlich überredet hatte. Ich war schon auf der Hälfte des Wegs, als

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