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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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es Madeleine beibringen sollen. Immer wieder hatte ich mir das überlegt, aber nie etwas davon gesagt. Ich hatte sie nicht erschrecken wollen.
     Es war lächerlich. Niemand verfolgte uns. Ich war nicht untergetaucht. Das war ein sauberes, gepflegtes, vollkommen abbezahltes Haus in Amerika, kein von Ungeziefer befallenes Hinterhaus an einem trüben Kanal in Amsterdam. Der Kühlschrank brummte. Das holländische Mädchen in Form einer Keksdose lächelte. Die Katze, die wir Mouschi nannten, schlief auf dem Stuhl neben mir. Sogar wenn es nicht die wirkliche Mouschi war, hatte ich sie adoptiert, nachdem das Stück abgesetzt worden war, eine Katze, die gelernt hatte, über eine Bühne zu laufen, eine Schüssel Milch umzuwerfen und auf Befehl alle möglichen raffinierten Tricks auszuführen. Die Kinder waren verrückt nach ihr.
     Der Klopfer fiel wieder auf die Messingplatte. Mouschis Ohren hoben sich zu zwei rosa umränderten Dreiecken. Gelbe Sterne für die Juden, rosa Dreiecke für die Homosexuellen. Reiß dich zusammen, warnte ich mich, aber ich konnte nicht anders, ich mußte aufstehen. Ich achtete darauf, nicht mit dem Stuhlbein über das Linoleum zu kratzen, und ging auf Zehenspitzen durch die Küche. Als ich den Wohnzimmerteppich erreicht hatte, stieg ich die Treppe hinauf und ließ die untere Stufe aus, die immer knarrt, dann drückte ich mich an die linke Wand, damit ich durch das schmale Fenster neben der Tür nicht zu entdecken war.
     Ich mußte mich bücken, um aus dem Spion zu schauen. Unter einer Schirmmütze starrte mich ein weißes Gesicht an, die Züge in die Breite gezogen, flach und brutal verzerrt. Ich konnte das Emblem auf der Mütze nicht erkennen. Es war egal. In der letzten Zeit hatten sie angefangen, in Zivil zu kommen, bis auf den einen, der Annes Tagebuch aus der Aktentasche auf den Boden geworfen und das Geld und den Schmuck hineingestopft hatte. Er war der einzige in Uniform. Der grüne rauhe Stoff war schmutzverschmiert. Sogar die Grüne Polizei litt damals unter einem Mangel an Seife.
     Ich schaute weiter durch den Spion hinaus. Diese Uniform war blau. Eine neue Einheit, vermutlich. Alte Tricks in neuer Uniform.
     Der Mann hob die Hand. Das Guckloch wurde dunkel. Die Tür vibrierte an meinem Gesicht, als er den Klopfer fallen ließ. Ich sprang zurück.
     Ich wäre besser ins Souterrain gegangen, zu meiner Werkbank, die mit Hämmern und Sägen und schweren Werkzeugen gut ausgestattet war. Ich hatte einen Hammer genommen, als ich mit Otto und meinem Vater die Treppe hinuntergegangen war, um nach dem Einbrecher zu schauen. In der Scheune hatte ich eine Axt benutzt. Aber ich hatte keine Zeit gehabt, ins Souterrain zu gehen.
     An die Wand gedrückt, schlich ich zur Küche zurück und lief geduckt zum Schrank neben der Spüle, wo Madeleine das Brot und verschiedene Messer aufbewahrte. Das Tranchiermesser würde leicht eindringen, aber das gezackte Ende des Brotmessers war effektiver. Ich nahm eins in jede Hand, nur zur Sicherheit. Auf dem Rückweg zum Wohnzimmer achtete ich wieder darauf, die knarrende Stufe auszulassen.
     Er stand jetzt unten, vor den beiden Stufen, und schaute zur Garage hinüber. Ich hatte am Abend davor die Tür offengelassen. Er konnte das Auto sehen. Er wußte, daß ich hier war. David und ich. Verdammt, würde ich es denn nie lernen? Ich hätte die Garage zumachen müssen. Genau wie ich die Vordertür hätte aufriegeln sollen, damit Kugler und die Lagerarbeiter am nächsten Morgen hereinkommen konnten.
     Er stieg wieder die Stufen zur Tür herauf. Je näher er kam, um so mißgestalteter wurde sein Gesicht. Dieser da würde mehr wollen als nur ein bißchen Geld und Schmuck. Dieser da war ein Killer.
     Wieder hob er die Hand. Diesmal verdeckte sie mir nicht den Blick. Ich sah, wie sie sich zur Klingel bewegte. Der Lärm schrillte durch das Haus. Der Ton erstarb. Das Haus hielt den Atem an. Der Mann hob wieder die Hand, aber bevor er auf die Klingel drücken konnte, zerriß ein anderes Geräusch die Stille. Mein Sohn schrie protestierend.
     Ich nahm zwei Stufen auf einmal und stürzte in sein Zimmer. Mein Sohn lag auf dem Rücken in seinem Bettchen, seine Arme und Beine stießen in die Luft, die Brust hob und senkte sich wie bei einem Erdbeben, der Mund war aufgerissen, um seine Empörung herauszulassen.
     »Pst«, bettelte ich ins Bettchen hinunter. »Pst.« Aber er schrie weiter.
     Jeder kennt die Geschichten. Die Mutter, die einem Kind die Hand auf den Mund

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