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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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zähle, und du schreibst die Zahlen auf.«
     Ihr Kopf sackte an meine Schulter. Ich drückte ihr den Stift in die Hand.
     »Wir müssen noch einmal von vorn anfangen. Ich habe den Faden verloren, als ich aufgestanden bin.«
     Ich legte die Häufchen ordentlich in eine Reihe, nahm das erste Bündel Hunderter und entfernte das Gummiband. Ihr Kopf sank tiefer auf meinen Arm. »Komm schon, das macht Spaß.«
     Sie hob den Kopf. Ich begann zu zählen. »Dreitausend«, sagte ich, als ich mit dem ersten Bündel fertig war. Ich mußte sie sanft schütteln, damit sie die Zahl aufschrieb. »Schreib eine Drei und drei Nullen.«
     Gerade als ich nach dem nächsten Bündel griff, hörte ich, wie die Tür hinter mir aufging.
     »Was tust du da?« Madeleines nackte Füße standen neben mir auf dem Teppich. Sie bückte sich und hob ein Bündel Banknoten auf. »Was tust du da, um Himmels willen?«
     »Ich hatte Durst«, sagte Abigail. Meine Erstgeborene war loyal, oder sie hatte ihre Mutter einfach mißverstanden und dachte, der Ärger gelte ihr.
     »Sie ist aufgestanden, weil sie ein Glas Wasser wollte, und da habe ich gedacht, es würde ihr Spaß machen, mir zu helfen.«
     »Spaß, dir zu helfen? Beim Geldzählen? Um halb zwei Uhr nachts? Bist du denn…« Sie hielt inne und schaute auf mich herunter. Ich sagte nichts. Ich würde mich nicht dafür verteidigen, daß ich für sie und die Kinder vorsorgte.
     Sie bückte sich, nahm Abigails Hand und zog sie auf die Füße. »Komm, mein Schatz, zurück ins Bett.«
     Ich saß noch immer auf dem Boden, mit den Häufchen Geldscheinen, als Madeleine aus dem Zimmer der Mädchen kam und die Tür hinter sich zuzog.
     »Ich bin in einer Minute fertig«, verkündete ich ihr, bevor sie etwas sagen konnte.
     Sie ging durch die Diele, betrat das Schlafzimmer und schloß wortlos die Tür. Es tat mir leid, daß sie ärgerlich war, aber das Geld mußte korrekt gezählt sein, es ging nicht anders. Ich fing noch einmal neu an. Diesmal stimmte die Summe.
     Am nächsten Abend brachte ich Madeleine ein Dutzend Rosen mit. Sie bedankte sich und sagte, sie seien wunderschön, und bat mich, für sie die große Vase oben aus dem Schrank zu holen. Ich war erleichtert. Ich hatte gefürchtet, sie wäre noch immer wütend wegen der letzten Nacht, obwohl ich nicht verstand, was falsch daran sein sollte, wenn ein Mann versuchte, für seine Familie zu sorgen.
     Während sie Wasser in die Vase laufen ließ und die Blumen ordnete, wandte ich mich dem Häufchen Post zu, das sie, als ich hereingekommen war, gerade durchgeschaut hatte. Es war die übliche Mischung, ein paar Rechnungen, eine Werbebroschüre von einer Teppichreinigungsfirma, eine andere von einem Kammerjäger, ein Brief von der lokalen Vertretung einer jüdischen Organisation, die sich bei mir für meine Spende bedankte, obwohl das nichts Ungewöhnliches war. Ich spendete katholischen Wohltätigkeitsorganisationen und den Pfadfindern, dem Staatsfonds und den vereinigten jüdischen Hilfsfonds, um nur einige zu nennen, und die verschiedenen Empfänger schickten mir Briefe und bedankten sich für meine Großzügigkeit. Dieser spezielle Brief berichtete auch von den guten Taten, die mit meinem Geld vollbracht wurden, und wünschte mir und meiner Familie G'ttes Segen. Während ich den Brief betrachtete, verstand ich auf einmal Madeleines fröhliche Stimmung.
     Zum ersten Mal hatte ich dieses Wort mit den fehlenden Buchstaben im Haus von Madeleines Eltern gesehen, obwohl es für mich damals noch das Haus von Susannahs Eltern gewesen war. Es war der Moment, erzählte mir Madeleine später, in dem sie wußte, daß Susannah mich nie heiraten würde, wohl aber sie.
     »Was ist das?« hatte ich gefragt und auf die Gs, Apostrophe und doppelten Ts überall auf der Seite gedeutet.
     »Gott«, sagte Susannah.
     Es konnte kein Druckfehler sein, dazu kam das Wort zu oft vor. »Warum schreiben sie das dann nicht?«
    »Man soll nicht das ganze Wort schreiben.«
     »Warum denn nicht?« Ich diskutierte es nicht, ich war neugierig.
     »Das ist Blasphemie.«
     »Es ist Blasphemie, wenn man gottverdammt sagt. Aber es ist doch keine Blasphemie, wenn man…«, ich schaute hinunter auf einen Satz, »…wenn man schreibt, daß man Gott dankbar ist.«
     »So ist es aber«, beharrte Susannah.
     »Das ist keine Antwort«, sagte Madeleine. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich vergessen, daß sie ebenfalls im Zimmer war. Damals war es noch so, daß ich in Susannahs

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