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Der Junge, der Anne Frank liebte

Der Junge, der Anne Frank liebte

Titel: Der Junge, der Anne Frank liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Feldmann
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ich erkannte, daß ich in der falschen Reihe war. Ich ging zwischen den geparkten Autos hindurch zur nächsten.
     Der Rest ist eine alte Geschichte. So etwas passiert jeden Tag. Die Leute kommen aus einer anderen Tür als die, durch die sie hineingegangen sind, finden ihre Autos nicht mehr, irren herum und verfluchen die eigene Dummheit, bis sie es endlich gefunden haben. Ich habe sehr viel geflucht an jenem Nachmittag. Ich bin auch sehr viel herumgerannt, eine Reihe hinauf, eine andere hinunter. Ich blieb an jedem braunen Auto stehen, sogar an solchen, die keine Cadillacs waren. Ich schaute in jeden dunklen Cadillac. In keinem saßen zwei kleine Mädchen.
     Ich stoppte und blieb eine Minute stehen. Die Sonne drückte auf meinen Kopf wie ein Stahlhelm. Schweiß floß mir in die Augen. Ich nahm meine Brille ab und rieb sie sauber. Das Licht, das von blitzenden Stoßstangen und glänzenden Kühlerhauben reflektiert wurde, blendete mich. Ich setzte meine Brille wieder auf.
     Ich mußte ruhig bleiben. Meine Töchter waren irgendwo hier, saßen sicher im Auto. Ich versuchte mich zu erinnern, ob ich das Fenster aufgelassen hatte. Aber sie waren keine Babys mehr. Wenn es ihnen zu heiß war, würden sie ein Fenster runterkurbeln. Nur daß das Auto solche neuen Knöpfe hatte, um die Scheiben zu bewegen. Ich sah meine beiden kleinen Mädchen schon leblos über den Sitzen hängen. In der Hitze und dem grellen Licht taumelten Tausende lebloser kleiner Mädchenkörper über eine graue Landschaft. Ich begann wieder zu rennen.
     Ein Polizeiauto kam vorbei. Ich hob den Arm, um es anzuhalten, dann bekam ich die Männer in den Blick, die im Auto saßen. Ihre Gesichter waren mitleidlose Masken. Statt Augen hatten sie flache Silberscheiben, die das Sonnenlicht zurückschossen. Bei der Vorstellung der Waffen, die sie umgeschnallt hatten, ließ ich meine Hand wieder fallen und rannte weiter.
     Ich spürte, wie das ausgedehnte Frühstück, das Madeleine mir zubereitet hatte, in mir hochkam und mußte ausspucken. Der Geschmack von muffigem Schinkenspeck stieg mir in den Mund. Ich spuckte wieder. Ich fühlte, wie meine Knie weich wurden, und hielt mich an einem Auto fest. Aber ich konnte meine Innereien nicht kontrollieren. Mein Körper verkrampfte sich, würgte das Frühstück heraus. Ich fühlte mich wie jene Dummköpfe, die damals, als die Lager befreit wurden, nicht auf die guten Ratschläge hörten und sich mit fetter Nahrung vollstopften, die von ihrem Körper nicht mehr vertragen wurde.
     Das Auto hielt neben mir. Ich drehte mich um. Unter Schirmmützen hervor starrten mich vier silberne Scheiben an. Einer der Polizisten hatte einen Schnurrbart. Er zitterte bei seinen Worten: »Geht es Ihnen gut, Sir?«
     Ich ließ mich nicht durch dieses Sir täuschen. Ich sagte, es gehe mir gut.
     »Sind Sie sicher, daß Sie keine Hilfe brauchen?« fragte er.
     Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte Angst, daß ich wieder anfangen würde, mich zu übergeben, wenn ich den Mund aufmachte, um zu sprechen oder um zu sagen, sie sollten sich, verdammt, nicht in meine Angelegenheiten einmischen.
     Der Polizist mit dem Schnurrbart schaute seinen Kollegen am Lenkrad an. Der Fahrer zuckte mit den Schultern und fuhr los.
     Ich wartete, bis sie nicht mehr zu sehen waren, und rannte weiter. Erst nachdem ich den ganzen Parkplatz kontrolliert hatte, von dem ich immer angenommen hatte, er sei vor dem Gebäude, erinnerte ich mich daran, daß dahinter noch einer war. Meine Töchter waren da, wo ich sie zurückgelassen hatte, ein bißchen weiter in der zweiten Reihe.
     »Du warst lange weg«, sagte Betsy. »Ewig.« Sie dehnte das letzte Wort.
     Ich sagte irgend etwas davon, daß ich mich verlaufen hatte, und tat, als wäre alles sehr komisch. War Daddy nicht dumm? Sie fanden es wirklich lächerlich. Rate mal, was Daddy getan hat, platzten sie zu Hause heraus. So hat Madeleine es überhaupt erfahren. Ich wäre nicht so blöd gewesen, es ihr zu erzählen.

    Der nächste Vorfall war sogar noch absurder. Es wäre nie passiert, wenn auf dem Parkplatz von Korvetts nicht diese beiden verdammten Polizisten an mir vorbeigefahren wären. Sind Sie in Ordnung, hatten sie gefragt, als wäre ihnen das nicht piepegal. Und sie hatten mich Sir genannt, als würden sie mich nicht beim geringsten Anlaß in eine stinkige Zelle stecken, entweder auf Befehl von oben oder einfach so, nur zum Spaß.
     Ich weiß, wie sich das anhört, aber ich gehöre nicht in die Kategorie

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