Der Junge, der es regnen liess
darstellt, die unter die Oberfläche von Literatur blickt, versucht, sie zu durchdringen und mit allen verfügbaren Mitteln auseinanderzunehmen. Die sich die Zähne daran ausbeißt wie ein Hund an einem Knochen und darauf herumkaut, bis sie kapituliert. Ich habe es immer als ein Spiel, eine Art Wettbewerb zwischen den Büchern und mir betrachtet, einen Wettbewerb, aus dem ich grundsätzlich als Siegerin hervorging. In unserer analytischen Herangehensweise an ein Thema hatten wir etwas gemeinsam.
Natürlich spreche ich hier über die Herangehensweise eines Sechzehnjährigen. Ich bin so gut wie sicher, dass die meine stark verfeinert war.
Sagen wir einfach, wir waren auf derselben Wellenlänge.
Kein Lehrer legt es darauf an, seinen Schülern auf solche Weise nahezukommen. Solche Dinge entwickeln sich einfach, aus Gefühlen wie Respekt und Ehrfurcht zum Beispiel. Clem war entschlossen, in seinem Jahresabschlussexamen die Bestnote zu erzielen, und ich wollte ihm das ermöglichen. Ich sagte ihm, wenn er bereit wäre, die Arbeit zu investieren, dann würde ich ihm helfen. Ja, das bedeutete außerhalb des Klassenraums, aber innerhalb der Grenzen des Schulgeländes. Sehen Sie, da gab es die Hausaufgaben-Clubs, die einzelnen Lerngruppen, die Abendöffnungszeiten der Bücherei … ich war nur eine von vielen Lehrkräften, die ihre Zeit opferten, um behilflich zu sein.
Ja, wir wurden dafür bezahlt. Clem kam immer zu der Lerngruppe am Dienstag und Donnerstag. Diese Gruppen konnten unterschiedlich ablaufen, von der Erledigung der Hausarbeiten, die die Schüler allein machten, bis zur Zusammenarbeit mit anderen Schülern an einer Aufgabe … zum Beispiel beim Aufsatzschreiben oder Strukturieren. Manchmal nahm es auch die Form einer vom Lehrer geleiteten Diskussion oder Lektion an. Die Zahl der Teilnehmer wechselte, zuweilen waren es bis zu fünfzehn Schüler und dann wieder nicht mehr als zwei.
Rosie Farrell nahm nie daran teil. Clem dagegen kam immer. Allein. Ich war beeindruckt von seinem Ehrgeiz. Er war ein entschlossener junger Mann und ich hatte keine Zweifel daran, dass er die Bestnote erreichen würde. Er erzählte mir, er brenne darauf, nach Süden zurückzukehren. Ich denke nicht, dass er seine Erfahrungen in Glasgow besonders genoss. Das ist eine echte Untertreibung, wenn man bedenkt, was wir inzwischen wissen. Ich hatte Mitleid mit ihm, denn diese Stadt kann ziemlich gnadenlos sein, vor allem, wenn man aus der falschen Ecke kommt. Es war nicht unbedingt eine antienglische Haltung, gegen die er ankämpfte, es war der Wunsch, seine Position zu verbessern.
Außerdem war er ein Opfer seiner Gesellschaftsschicht. Er stammte aus einer Mittelschichtsfamilie, das war offensichtlich, und dagegen kämpfte er an. Ich konnte es ihm nachfühlen. Ich dachte, er wüsste mein Verständnis zu schätzen. Ein einziges Mal bot ich ihm Hilfe an, aber nur, weil er verletzt worden war. Nichts allzu Ernstes, nicht mehr als ein blau geschlagenes Auge. Aber es war nicht zu übersehen, dass der Schaden psychologisch wesentlich tiefer ging.
Eines Morgens bin ich ihm auf dem Gang begegnet. Er erschien mir verstört, frustriert und unglücklich. Wie gesagt, ich bot ihm meine Hilfe an und vielleicht unabsichtlich auch meine Hand zum Trost. Da war nichts, das man hätte missverstehen können. Natürlich hatte ich Mitleid mit ihm. Er war mein Schüler. Ich hatte ihn gern in meiner Klasse, und er befand sich in einer ungünstigen Position, in einer gefährlichen Position. Ich wollte nichts weiter, als ihm helfen. Er lehnte ab. Zu der Zeit wusste ich nicht, wer es getan hatte, aber ich hatte meine Vermutungen. Und im Hinblick auf die Geschehnisse erwiesen sie sich als ziemlich zutreffend.
Manchmal sprachen wir über mögliche Universitäten und Studienfächer. Literaturwissenschaft war das Fach seiner Wahl. Ja, ich denke, er wusste meine Meinung zu schätzen.
Nun ist es ja nicht so, dass ich mit geschlossenen Augen und Ohren durch die Schule laufe. Ich hatte Dinge gesehen und gehört. Es war kein Geheimnis, dass er und Rosie ein Paar waren. Ich fühlte mich davon weder verletzt noch begeistert. Es war völlig normal.
Unterstützung? Ich habe es weder unterstützt noch verdammt. Es ging mich nichts an. Ich habe absolut keine Ahnung, warum Rosie mich nicht mochte. Wirklich, ich glaube nicht, dass mein Aussehen der Auslöser für ihre Abneigung gegen mich war. Clem schwärmte nicht für mich! Er war viel zu klug und reif für solchen Unsinn.
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