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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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produktiver erledigen könnten. Besser auf die speziellen Bedürfnisse ihres Kindes ausgerichtet, nehme ich an. Wir sind alle Spezialisten, könnte es scheinen.
    Bei den Currans sah es in dieser Hinsicht anders aus. Sie unterstützten die Schule und die Methoden unbedingt, die das Kollegium hier eingeführt hatte. Sie hatten eindeutig nichts von der gesellschaftlich akzeptierten, allgegenwärtigen Überzeugung an sich, alles viel besser zu können, die einigen unserer Eltern eigen war. Das soll jedoch nicht heißen, dass sie die Einstellung der Schule zu Clems Ausbildung passiv hinnahmen, ohne sie zu prüfen. Sie stellten sachdienliche Fragen und überzeugten sich regelmäßig von den Fortschritten, die ihr Sohn in seiner Schulbildung machte.
    In einem unserer kurzen Gespräche vertrauten sie mir an, dass sie sich wünschten, Clem solle Jura oder Medizin studieren. Einen der Eliteberufe ergreifen. Verstehen Sie mich nicht falsch, sie waren selbst nicht elitär. Aber wie die meisten Eltern wollten sie einfach das Beste für ihr Kind.
    Nichtsdestotrotz wusste ich aus Gesprächen, die ich mit dem Jungen selbst geführt hatte, dass er keinerlei Interesse an diesen Studien hatte. Ich würde so weit gehen, zu behaupten, dass auch nur die Erwähnung, er könne Jura oder Medizin studieren, entsetzlich für den Jungen war. Oh, nein, nein, nein, ich war nicht in der Position, seinen Eltern ihre Hoffnung und ihre Wünsche auszureden. Die Machtbefugnisse, die ich als Lehrer besitze, gestatten mir höchstens, es Eltern nahezulegen, dass ihr Sohn oder ihre Tochter auf einem bestimmten Gebiet Talent erkennen lässt und dass er oder sie womöglich den Wunsch hegt, sich auf ebendiesem Gebiet weiterzuentwickeln. Aber den Wünschen einer Mutter und eines Vaters zu widersprechen und davon abzuraten gehört nicht zu den Kompetenzen eines Schullehrers.
    Zudem sind jene Machtbefugnisse, von denen ich rede, selbst im besten Fall minimal. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es hier mit Heranwachsenden zu tun haben, und Lehrer sollten darauf achten, dass dieses Bewusstsein nicht im Alltag der Unterrichtssituation untergeht. Ebenso ratsam ist es, im Gedächtnis zu behalten, dass Schüler oberflächlich betrachtet durchaus vernünftig und reif erscheinen können, dass man jedoch stets berücksichtigen muss, wie sehr sie sich emotional noch in der Entwicklung befinden. Womöglich würde uns dies auch bei unserer Suche nach einer Erklärung für diesen entsetzlichen Vorfall erheblich weiterhelfen.
    Ich fürchte, wir gingen auf nicht sehr persönlicher Ebene miteinander um. Unsere Begegnungen gestalteten sich höflich, aber förmlich. Soweit ich weiß, hatten sie ihren festen Platz in der Gemeinschaft und waren beliebt. Sie waren keine Philanthropen oder irgendetwas in der Art, aber meiner Meinung nach waren sie großzügig mit ihrer Zeit. Aus meiner Sicht waren sie anständige, aufrichtige Leute.
    Ich denke, es ist praktisch unmöglich, nach diesem Ereignis zu verhindern, dass Gerede aufkommt. Auf der anderen Seite ist es nur natürlich, zu spekulieren und sich in Mutmaßungen zu ergehen, wenn so etwas geschieht. Nicht einverstanden bin ich allerdings mit Erfindungen und Unwahrheiten. Was mich selbst betrifft, so habe ich mir geschworen zu schweigen, in dem Sinn, dass ich mich weigere, mich an dem nutzlosen Geschwätz zu beteiligen, das aus solchen Ereignissen grundsätzlich erwächst. Die Tatsachen müssen ans Licht treten, ehe man sich der Fantasie und dem Aberglauben hingibt.
    Clem teilte uns, seinen Lehrern, nur eine Woche nach den Osterferien mit, dass er abgehen würde. Ich stimme zu, es war ein ziemlich abruptes Ende seiner Schullaufbahn bei uns. Als er uns darüber in Kenntnis setzte, dass er nach Glasgow ziehen würde, kam mir das, nun ja, ein wenig unpassend vor. Was seine Examensergebnisse, seine Zukunftspläne und seine Berufsaussichten betraf, war dies ein entscheidendes Jahr für ihn. Und da ich ja wusste, welchen Wert seine Eltern auf seine Ausbildung hier gelegt hatten, erschien es mir merkwürdig, dass sie bereit waren, die Kontinuität des Ganzen zu durchbrechen. Um ganz offen zu sein, ich hatte das Gefühl, dass hier irgendwas nicht ganz stimmte.
    Nein, ich vertraute mich keinem meiner Kollegen an. Ich tat das, was meine berufliche Pflicht war, und unterstützte Clem in jeder denkbaren Weise, vor allem in einer Zeit, die man als turbulenten Übergang bezeichnen könnte. Ich bot ihm an, sich mit allen akademischen Fragen oder

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