Der Junge, der es regnen liess
Clem«, wiederholte meine Mutter.
»Aber du hast doch hier deinen Job.«
Schweigen.
»Hast du hier etwa keinen Job?«
Angespanntes Schweigen, geradezu peinlich.
»Doch schon, aber die Firma verkleinert sich.«
»Also hast du keinen Job mehr?«, fragte ich.
»Es sind die Zeichen der Zeit, Clem. Unsere wirtschaftliche Lage«, brachte Mum zu seiner Verteidigung vor.
Auf einmal wurde alles offensichtlich: Auf der einen Seite standen sie, auf der anderen ich. Und warum schiebt überhaupt jeder seinen eigenen Mist auf die wirtschaftliche Lage? Warum können die Leute nicht die Verantwortung für ihre eigenen Handlungen übernehmen? Ich habe nicht darum gebeten, in diese Situation hineingeboren zu werden blablabla … das ist was für unreife Gören … blablabla.
»Ich habe einen Job. Nur ist es eben nicht derselbe Job, den ich hier hatte.«
»Du bist also beruflich abgestiegen«, sagte ich.
»Oh bitte, benutz nicht solche Worte, Clem. Dein Vater hat auf einem schwierigen Arbeitsmarkt eine andere Stellung gefunden, das ist alles. Wir sollten uns für ihn freuen.«
Auf einem schwierigen Arbeitsmarkt? Gott im Himmel, ist das das Niveau, auf dem meine unausgefüllte Hausfrau von Mutter funktioniert? Als Nächstes wird sie noch den Dow-Jones-Index und die Aufschwungspraxis von Keynes zitieren.
Ich nehme an, ich stand noch immer unter Schock. Das Wort Glasgow summte in meinem Kopf.
»Wir sollten uns für ihn freuen? Oh, ich bin in Ekstase!«
»Sieh mal, Clem, die Firma bietet mir eine ähnliche Stellung an, wie ich sie hier hatte. Sie schließen ihren Betrieb in Eastbourne, aber nicht in Glasgow.«
»Also haben wir keine Wahl?«, fragte ich.
»Ich fürchte, wir haben keine Wahl«, antwortete Dad.
»Hast du dich umgesehen?«
»Natürlich hat dein Vater sich umgesehen«, sagte meine Mutter. »Was denkst du denn von uns? Dass wir zu impulsiv sind?«
»Großer Gott, nein«, erwiderte ich.
»Wir haben keine andere Möglichkeit«, sagte Dad.
»Es ist also beschlossene Sache?«, fragte ich.
»Ja, es ist beschlossene Sache«, sagte Dad.
»Wir haben keine Wahl«, sagte Mum.
»Wann haben wir keine Wahl?«, fragte ich.
»Nächstes Wochenende«, sagte Mum.
»Nächstes Wochenende?«, fragte ich.
»Nächstes Wochenende«, sagte Dad.
»Was ist mit meiner Schule?«, fragte ich.
»Wir haben eine Superschule in Glasgow für dich gefunden«, sagte mein Vater.
»Gibt es so etwas überhaupt?«, fragte ich.
»Sei nicht sarkastisch, Clem«, sagte Mum.
»Unseren Sinn für Humor müssen wir also auch hierlassen? Kann ich nicht wenigstens meinen einpacken?«, fragte ich.
»Clem, diese Sache ist schwierig für alle Beteiligten. Machen wir sie uns so erträglich wie möglich«, sagte Dad.
»Kann ich nicht wenigstens das Schuljahr hier zu Ende machen?«, fragte ich.
»Nein«, antwortete Dad.
»Das kommt nicht infrage«, sagte Mum. »Die Marktlage zwingt uns dazu. Sie lässt einfach nichts anderes zu.«
Sie fing schon wieder damit an.
»Nächstes Wochenende also?«, fragte ich.
»Nächstes Wochenende«, sagte Dad.
»Es wird alles gutgehen, Clem, wir werden uns dort oben schnell einleben, warte nur ab«, sagte Mum. »Ich habe gehört, die Leute sollen wirklich freundlich sein.«
»Ja, und ich habe gehört, sie haben die höchste Rate an Messerstechereien in ganz Europa«, sagte ich.
»Lass uns positiv denken«, sagte Dad.
»Genau«, sagte Mum. »Und wer weiß, vielleicht bekommen die Banken die Sache ja schneller, als wir denken, wieder auf die Reihe.«
»Ja, drücken wir die Daumen, was?«, sagte ich, hob beide Hände und zeigte meine gedrückten Daumen. Damit war die Diskussion noch nicht zu Ende, aber sie ist so ermüdend und irrelevant, dass ich besser an dieser Stelle einen Schnitt setze. Nachdem ich mich beinahe zu Tode gelangweilt hatte, schleppte ich mich in mein Zimmer, um mit dem Packen zu beginnen. Wenigstens meine Bettwäsche war frisch.
So war das also. Derart unvorhersehbar kann das Leben für einen Teenager sein. Nichtsdestotrotz war ich für ein paar Sachen dankbar. Zuerst einmal war ich dankbar dafür, dass der Vorfall mit den Laken vergessen und begraben war. Die Botschaft war laut und deutlich vernommen worden. Ich schwor mir, dass ich mich nie wieder einer derart demütigenden Kritik aussetzen würde: Benutze für diese Art von Aktivitäten grundsätzlich das Badezimmer, es sei denn, du wohnst alleine, es herrscht gegenseitiges Einverständnis oder du kannst sicher sein, dass niemand in die
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