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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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Nähe deines Bettes kommt, um die Wäsche zu wechseln. Ein Mitbewohner zum Beispiel.
    Zum Zweiten war ich froh, dass ich in Eastbourne keine Freundin zurücklassen musste. Das emotionale Gepäck wäre zu viel für mich gewesen. Ich hätte es nicht in Glasgow mit mir herumschleppen wollen. Daher war ich froh, dass es in meinem Leben keinen besonders wichtigen Menschen gab.
    Zum Dritten brauchte ich einen Ortswechsel. Eastbourne war im Begriff, mir die Sehnsucht zu zerstören, und ich musste hier weg. Dies war die perfekte Gelegenheit. Oh, natürlich musste ich den sprichwörtlichen empörten Teenager weiterspielen, dazu hat man als Heranwachsender schließlich die Pflicht. Meine Eltern würden über ihren Schuldgefühlen einschlafen, und ich würde davon profitieren.
    Merkwürdigerweise war ich froh über meines Vaters Unzulänglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Seit ich wusste, was Arbeit und Beschäftigung überhaupt bedeutete, hatte er bereits eine Reihe von Jobs gehabt. All seine Jobs hatte er an oder in der Nähe der Südküste ausgeübt, sodass nicht der Eindruck entstand, die Erdachse hätte sich verschoben, wenn er wieder einmal ›wechselte‹. Ich hatte immer geglaubt, er ginge einer besonderen, wichtigen Tätigkeit nach, weil er dazu Hemd und Krawatte trug. Ich nehme an, ihm ging es genauso.
    Ich hätte falscher nicht liegen können. Es lässt sich nicht leugnen, dass er sein gesamtes Berufsleben als eine Art Treibgut verbracht hatte, als menschlicher Frosch, der von einem Scheißjob zum anderen hüpfte. Dieses Mal hatte er sich jedoch selbst übertroffen.
    Damit will ich nicht sagen, dass mich das, was Mum und Dad durchmachten, nicht beschäftigte. Aber im selben Maße beschäftigte mich die Tatsache, dass ich wenig Lust verspürte, die Rolle des unverschämten, altklugen kleinen Teenagers noch sehr viel länger zu spielen. Im Gegenteil, ich war bereit, Glasgow als Experiment zu betrachten. Her damit! Bedenkt man, dass die durchschnittliche Lebenserwartung des männlichen Briten siebenundsiebzig Jahre beträgt, dann durfte ich mich auf noch weitere einundsechzig Jahre freuen. Jedenfalls solange ich Glück und keinen Unfall hatte. Ein Jahr in Glasgow würde meinen Plan, die Welt zu beherrschen, nicht gleich in Trümmer schlagen.
    Ich nannte meinen Vater Willy Loman. Ins Gesicht sagte ich ihm das natürlich nicht. Im Kopf nannte ich ihn so. Nur in meinem Kopf. Wir hatten nicht mehr als zehn Seiten von Tod eines Handlungsreisenden gelesen und Mr Goldsmith fing gerade an, über den Protagonisten zu sprechen, da konnte ich an nichts anderes mehr denken als an Dad in Willys Kleidern, der Willys Text sprach und sein Essen aß. Mit einem Schlag fiel alles an seinen Platz: Dad war die Verkörperung von Willy Loman, in Geist und Seele. Er strebte nach etwas, das unerreichbar für ihn war. Das arme Schwein. Von Fabrik zu Fabrik zog er mit seinen Angeboten, von Laden zu Laden, von Tür zu Tür, von Mann zu Mann, von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr. Das reicht aus, um den stärksten Mann zu zerbrechen. Mein Vater war zerbrochen, so wie Willy. Nur besaß Willy wenigstens genug Geistesgegenwart, um sich vor dem endgültigen Absturz eine Affäre zu leisten und ein bisschen Spaß zu haben.
    Dad dagegen hatte einen schwachen Willen und ließ jeden auf sich herumtrampeln. Er erlaubte Leuten, die in ihren schnieken Anzügen frisch von der Uni kamen und nichts als sich selbst im Kopf hatten, ihn herumzukommandieren, zu sabotieren und zu demütigen. Verdammt, ich hasste diese Studienabgänger. Aber trotzdem, wie kann man nur in einen solchen Zustand geraten? Das arme, erbärmliche Schwein. Wenn es je einen Grund gab, aus den Fehlern seiner Eltern zu lernen …
    Eines stand fest, von diesen Studienabgängern arbeitete sich keiner tot, um sich beim Verkaufen seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nein, die waren viel zu beschäftigt, sich mit dem Teufel zu verbünden und sich die Brieftaschen zu füllen. Keiner von diesen Studienabgängern war auch nur halb so viel wert wie mein Dad.
    Keiner von diesen Studienabgängern ging nach Glasgow.
     

 
    Glasgow
    Auf dem Rücksitz eines Autos bekommt man keinen Eindruck von irgendwas. Der Rücksitz steht symbolisch für die unwichtigste Person im Auto. Und unsere Fahrt nach Schottland stand symbolisch für die unwichtigste Person in Dads Firma.
    Es war nicht möglich, ein Gespräch zu führen, denn die Musik, vorn kaum vernehmbar, plärrte hinten in voller Lautstärke. In billigen Autos ist

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