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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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Hoden zu wischen.
    Ich habe keins dieser Aufklärungsgespräche über Pubertät, Onanie, Hormone, Lust etcetera geführt. Genau genommen nicht einmal über Liebe. Stattdessen blieb es mir selbst überlassen, es herauszufinden. In einer ansonsten hedonistischen Landschaft wurde ich ins kalte Wasser geworfen und trieb von einer Erfahrung zur nächsten. Es gab gute und schlechte. Unterwegs habe ich eine Vielzahl von Fehlern begangen:
    Ich habe geküsst wie eine Waschmaschine im Schleudergang, habe mich mit wilder Hingabe auf die Oberkörper zahlreicher weiblicher Geschöpfe gestürzt (ein Zuschauer oder ein Purist hätte vor Gericht beschworen, dass ein sexueller Übergriff stattfand). Dabei habe ich meine Hände, speziell die Finger, an derart unvertraute Orte gelegt, dass es für mich nicht weniger unangenehm war als für die Empfängerin. Schreiben Sie es meiner Naivität zu. Oder geben Sie meinen Eltern die Schuld.
    Obwohl ich mich im zarten Alter von sechzehn Jahren befinde, habe ich auf diesem Gebiet noch ein Füllhorn künftiger Fehler zu begehen. Mehr als alles hoffe ich das jetzt. Füllhorn ist mein neues Wort. Tatsächlich ist es das erste Mal, dass ich es innerhalb eines Kontexts benutzt habe. Ich bin nicht sicher, dass ich es korrekt benutzt habe. Ich gestehe mir da gewisse Zweifel zu. Und wo ist mir dieses kleine Juwel von einem Wort vorgestellt worden? In Mr Goldsmiths Englischstunde. Wo sonst?
    »Ich habe das Buch, das Sie uns gegeben haben, ausgelesen, Sir.«
    »Das ganze?«
    »Nun ja, ich bin auf der letzten Seite angelangt.«
    »In diesem Fall schlage ich vor, dass Sie sich ein neues aussuchen.«
    »Ich habe eigentlich schon nachgesehen, und so toll sind die alle nicht.«
    »Wirklich nicht, Mr Curran?«
    »Ich fürchte, Sir.«
    »Ach, Unsinn, ich bin sicher, wir haben ein Füllhorn an Büchern, das sowohl Ihrem Geschmack als auch Ihrem Lesehunger entspricht.«
    Und auf diese Weise hielt das Wort Füllhorn Einzug in mein Vokabular. Ich würde Mr Goldsmith gern gerecht werden. Er wäre stolz auf mich.
    Was das mit alledem zu tun hat? Im Grunde nichts. Ich versuche lediglich, meine Erinnerungen zu bewahren. Die Sache mit den Bettlaken passierte an dem Morgen, an dem ich über unsere Reise nach Schottland unterrichtet wurde.
    Schottland!
    Oder um genau zu sein: Glasgow.
    Glasgow!
    Obwohl Mum schon davon wusste, wirkte sie so schockiert wie ich. Tatsächlich war ich derjenige, der schockiert war, während sie lediglich fassungslos war. Aber ich fing mich wieder. Ich hatte das sichere Gefühl, dass sie viel länger brauchte, um ihre Fassungslosigkeit zu überwinden. Ich war noch immer damit beschäftigt, mit der Peinlichkeit des Bettlaken-Vorfalls zurechtzukommen und zu hoffen, dass darüber nicht weiter gesprochen würde. Ich fürchtete die bevorstehende Szene, als ich an diesem Abend von der Schule nach Hause ging. In meinem Kopf hatte ich sie wieder und wieder durchgespielt und konnte mir das peinliche Gespräch zwischen Vater und Sohn lebhaft vorstellen: mich, wie ich schwächlich nickte, während er ebenso schwächlich versuchte, Analogien zu finden. Geballte Schwäche. Genau das, was ich brauchte.
    Jetzt aber schien es, als würde etwas diese Angst ins Dunkel der Bedeutungslosigkeit verweisen, wofür ich endlos dankbar war. Nein, dankbar trifft es nicht. Selig, das ist besser. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und stieß ein lautes »Puh!« heraus. Natürlich nur in meinem Kopf, öffentlich habe ich das nicht gemacht. Und dann begriff ich, was das Gesagte bedeutete.
    Glasgow? Warum denn Glasgow? Warum um alles in der Welt würde sich jemand unter all den Städten, in die wir hätten gehen können (mir wurde suggeriert, es gäbe keine), ausgerechnet Glasgow aussuchen? Nicht dass ich etwas gegen die Schotten oder die Einwohner Glasgows als Volk oder als Nation habe. Es ist nur einfach so, dass Eastbourne so extrem anders als Glasgow ist. Oberflächlich betrachtet erscheint die eine wie die komplette Antithese der anderen. Natürlich nur für jemanden, der keinen Einblick hat. Und so ist es, noch ehe man die Klischees überhaupt berücksichtigt.
    Was sollte ich in Glasgow machen? Warum zum Teufel gingen wir überhaupt nach Glasgow? Was zum Teufel hat Glasgow Leuten wie uns zu bieten? Würde man uns nicht aus der Stadt jagen? Wieder sprach ich von alledem nichts aus, es spielte sich nur in meinem Kopf ab.
    »Es geht um die Arbeit, Clem«, sagte Dad.
    »Es geht um die Arbeit deines Vaters,

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