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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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zur Kunstschule gehen oder Design oder Architektur studieren oder so was in der Art. Genau weiß ich noch nicht. Aber ich wusste, ich würde meine Zeit nicht an der Uni mit dem Lesen von diesen blöden dicken Büchern verschwenden.
    Es hatte nichts damit zu tun, dass Miss Croal die Lerngruppe leitete. Ich hatte eigentlich gar keine Meinung über sie. Sie hat mich einfach nur gereizt. Sie wissen schon, sie erwischte mich immer auf dem falschen Fuß.
    Einmal bin ich total früh zur Schule gekommen. Der Pförtner musste mir die Tür aufmachen. So früh war es. Ich wollte mit meinem Kunstprojekt anfangen. Also stand ich da und guckte mir den Miro-Kalender an, den ich mitgebracht hatte, um mir die Inspiration zu holen, die ich brauchte. Diese ganze verfurzte Kunstkacke. Spiegelung, emotionales Gedächtnis und der ganze Schwachsinnn. Ich hatte den Miro-Kalender vor ein paar Wochen in einem Kunstladen in der Stadt gekauft. Zuerst wollte ich ihn Clem als kleines Willkommen-in-Glasgow-Geschenk geben, aber dann habe ich ihn selbst behalten. Es wäre ja eh unpassend gewesen, ihm einen Kalender von einem spanischen Künstler zu schenken, um ihn in Glasgow willkommen zu heißen. Und einen von Jack Vettriano hätte ich ihm auf keinen Fall geschenkt. Der ist öde.
    Also stand ich da wie bestellt und nicht abgeholt mitten in diesem riesigen leeren Kunstraum und wartete darauf, dass der Gott der Kunst erschien und mir volle Kanne ins Gesicht sprang. Keine Menschenseele war unterwegs. Kein Geräusch zu hören. Und dann hörte ich etwas im Hof. Eine Art Klicken. Ich guckte aus dem Fenster und sah Miss Croal, wie sie über den Hof marschierte und diese Absatzschuhe trug. Nicht gerade Stilettos, aber hoch genug, um ein Klicken zu verursachen. Ich weiß noch, dass ich dachte: Die hat aber Notstand. Für die Schule zieht die sich an wie zur Aufreiße. Wenn das die Sachen sind, in die die am Dienstagmorgen steigt, dann möchte ich sie nicht am Wochenende sehen.
    Wen will die damit beeindrucken? Ich habe nicht weiter drüber nachgedacht, bis ich dasselbe Klicken im langen Flur vor den Kunsträumen hörte. Sie musste da lang gehen, um zur Englischabteilung zu kommen. Und dann wurde das Klicken plötzlich langsamer, und sie machte lange Pausen zwischen den Schritten. Ganz nahe bei mir. Mein Kopf war voller Ideen für Kunst aus Müll: Porree-Haare, Broccoli-Nasen, Zucchini-Finger und noch mehr so müllige Dinger, als das Geräusch auf einmal aufhörte. Einfach so. Wie abgestorben.
    Und dann hörte ich Stimmen. Stimmen, die versuchten, so leise zu sein, dass niemand was merken oder sie belauschen konnte. Verdammt noch mal, wer ist denn da?, dachte ich. Meine Neugier war stärker als ich, also schlich ich mich an und versuchte, was zu sehen zu kriegen. Und ganz ehrlich, ohne Lüge, es waren Clem und die Croal. Beim harmlosen Gequatsche? Nur so redend? Nix da. Sie legte ihm die Hand ans Gesicht. An sein Gesicht! Wie um ihn zu streicheln. Die Schlampe! Die Schweine! Dann bewegte sie sich auf ihn zu, und ich schwöre, ich dachte, sie würde ihre Lippen voll auf sein Gesicht pressen, das habe ich wirklich geglaubt.
    Mir kochte das Blut. Ich sah das alles durch ein kleines Loch in dem Poster, das über dem Glas in der Tür klebte. Ich war bereit, die Tür einzurennen und auf das Pärchen zuzustürmen. Zu treten und zu brüllen. Er drehte sich um und sah nach, ob jemand sie beobachtete. Und ich stand hinter meiner Tür und dachte: Du verdammter Dreckskerl. Ich habe es zwischen meinen Zähnen gezischt. Das Atmen fiel mir schwer, und ich spürte, wie mir auf der Stirn der Schweiß ausbrach.
    Sie sah besorgt aus, als ob sie sich gestritten hätten oder so was. Und dann machte sie noch mal dieselbe Bewegung auf sein Gesicht zu.
    Mit derselben Hand.
    Auf denselben Teil des Gesichtes zu.
    Es war ein gefährliches Spiel, das sie da spielten.
    Im Korridor, während der Schulzeit!
    Ich hätte mir den Job dieser Schlampe auf einem Silbertablett servieren lassen können.
    Ich hatte sie in der Hand.
    Ihre Laufbahn.
    Ihr Leben.
    Ich hätte bei den Zeitungen ordentlich Kohle machen können. Die Sun druckt sowieso jeden Mist, ob ausgedacht oder nicht. Wenn ich zurückdenke, ist es verrückt, dass ich so viel Macht hatte. Ein Griff zum Handy, und sie könnte ihr Abendessen vergessen. Gute Nacht, Marie. Und bei ihm genauso. Nichts mehr mit Brighton. Keine Träume von Stränden mehr. Was für zwei Schweine. Glaubten die echt, dass niemand es herauskriegen würde? Was

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