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Der Junge, der es regnen liess

Der Junge, der es regnen liess

Titel: Der Junge, der es regnen liess Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Conaghan
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eingeprägt. Ein Leben lang!
    Ich würde keine Arbeit finden. Jede Faser meiner Existenz würde beginnen, unter meinen Füßen zu zerbröckeln und sich aufzulösen. Eine Schnellstraße in die Gosse. In der Tiefe meiner Verzweiflung würde ich sie rückverfolgen können bis zu jenem schicksalhaften Moment vor der Tür des Matheraums. Jenem Moment, in dem ich nichts unternahm. Tod durch Kapitulation.
    Schweigend, erfüllt von Angst und Wut betrat ich die Klasse und wusste, dass ich zum Teufel noch mal aus dieser Schule kommen musste. An diesem Tag. Sofort nach dem Mathekurs. Vor dem Kurs. Den Mathekurs schwänzen. Welchen Sinn hatte es, sich auf Mathe zu konzentrieren, wenn die Struktur meines Lebens in Gefahr war?
    Ich setzte mich an meinen Tisch und überlegte, ob ich mich womöglich zu theatralisch benahm. Gerade, als ich mir erfolgreich eingeredet hatte, dass das wohl zutraf, steckte McEvoy seinen Kopf in die Tür und knurrte etwas in meine Richtung, ehe er dieselbe Geste des Aufschlitzens noch einmal wiederholte. Dann verschwand er so plötzlich, wie er gekommen war.
    »Nimm dich vor dem in Acht«, sagte eine Stimme hinter mir.
    »Ja, der ist ein durchgeknalltes Schwein«, sagte ein anderer.
    Ich ließ mir fünf Minuten lang Zeit, wartete, bis die Flure sich geleert hatten. Bis der Aufruhr verebbte.
    »Sir, kann ich bitte mal zur Toilette?«
    »Aber beeil dich.«
    Ich warf mir die Tasche auf den Rücken, verließ die Klasse, verließ die Schule und schwor mir, nie wiederzukommen.
    Jedenfalls war das mein Plan.
     

 
    Handy
    Mein Herz vibrierte. Eine unaufhörliche Reizung in meiner Brust.
    Summ, summ, summ.
    Wie eine geschlechtsreife Bienenkönigin. Sechs Anrufe von Rosie. Alle ignoriert. Dazu ungefähr fünfzehn SMS.
    Ping! Ping! Ping!
    Jede gelesen, jede verinnerlicht, jede ignoriert. Vermutlich hätte ich das Ding ausschalten sollen, aber es war die Aufmerksamkeit, an der ich mich festhielt. Das Gefühl, begehrt zu werden.
    Summ! Summ! Summ!
    Geh nicht ran.
    Ping! Ping! Ping!
    Wo steckst du?
    Ich bin gerade dabei, aus einem überfüllten Bus auszusteigen, der nach kaltem Zigarettenrauch und Alkohol stinkt. Die Arbeitslosen, die Entrechteten, die sozial Kranken sind alle hier versammelt.
    Bonnie Prince Billy singt mir im Ohr, und ich spüre jeden Stich der markerschütternden Prosa dieses Typen. Heute ist ein Tag der Freiheit und des Selbstmitleids.
    Ping! Ping! Ping!
    CLEM, WO BIST DU?
    Jetzt blättere ich im HMV durch die CDs. Meine Mutter wird sich freuen. Ich tue mir den pedantischen Text von Madonnas neuester Kreation an. Der Tod der Musik. Nicht auszudenken, dass diese armen Kinder aus Mali auf ihre landeseigene Musik verzichten müssen, um diesen Schund zu bekommen. Es ist eine Schande. Gott sei mit ihnen.
    Ich bin nur hier, weil es draußen eisig kalt ist. Der Winter von Glasgow greift gnadenlos an, ohne sich um Alter, Gesundheit, Vermögensstand oder emotionalen Aufruhr zu scheren.
    Summ! Summ! Summ!
    Geh nicht ran.
    Ping! Ping! Ping!
    Kommst du heute noch mal zurück zur Schule?
    Nicht mal eine Horde zähnefletschender Rottweiler könnte mich an diesen Ort zurückbringen. Meine höhere Schulbildung hat ihr Ende gefunden. Heute. Sag denen, die mich vermissen, auf Wiedersehen von mir. Du solltest nicht länger als dreißig Sekunden dazu brauchen.
    Ping! Ping! Ping!
    Verdammte Scheiße, wo bist du?
    Ich bin hier. In dieser Stadt. Diesem gottverlassenen Ort. Dem Ort, wo der Wind dir den Kopf aufschlitzt und die Leute dir das Gesicht aufschlitzen. Ich bin hier. Hier bin ich. Nicht, weil ich mich so entschieden habe, weil ich es wollte oder ersehnte, aber dennoch finde ich mich hier.
    Ping! Ping! Ping!
    Hab ich dir was getan?
    Stell dich in die Schlange. Jeder Einzelne, der darin steht, hat irgendwas getan. Die Frage ist nur: Was habe ich getan? Warum fragt mich keiner danach? Ich verstehe aber, dass das Verlangen nach dieser Frage besteht.
    Summ! Summ! Summ!
    Geh nicht ran.
    Ping! Ping! Ping!
    Warum ignorierst du mich?
    Weil das die einzige Macht ist, die mir bleibt. Das Einzige, was ich noch kontrollieren kann. Schweigen und Anonymität. Ich ignoriere mich selbst. Niemand kennt mich hier. Niemand stellt irgendwelche Forderungen an mich oder will mir irgendwas tun, abgesehen von den Verkäufern, die mir ganz gern mein Geld abnehmen würden.
    Ping! Ping! Ping!
    Was ist los?
    Nun, abgesehen von der Tatsache, dass ein kleiner, ignoranter krimineller Ficker gedroht hat, mich zu entstellen (lebenslang), weil

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